Raumschiffe in Buenos Aires

KINO Der Essayfilmer Heinz Emigholz inszeniert in seinem Film „The Airstrip“ Gebäude und Architekturen vom Einkaufszentrum bis zur Kriegsruine

Plötzlich gleiten Fleischstücke ins Bild, schweben von rechts nach links durch die Wartehalle und verschwinden wieder

Sicher eine derjenigen Filmszenen, die von der diesjährigen Berlinale bleiben werden: Zuerst sieht man nur einen x-beliebigen Gang auf einem x-beliebigen Flughafen; und dann gleiten plötzlich Fleischstücke ins Bild, schweben von rechts nach links durch die Wartehalle und verschwinden wieder. Eine Voice-over-Stimme meint kurz vorher: „Fleisch und Musik. Ich kann Musik in Dokumentarfilmen nicht ausstehen.“ Und tatsächlich wird die Fleischparade von elektronischer Musik unterlegt. Man könnte sich das also so erklären, dass es um eine Kritik filmischer Konventionen geht: Auf einer medienontologischen Ebene bleibt nachträglich eingefügte Musik dem dokumentarischen Bild nicht weniger äußerlich als die überdimensionierten, in der digitalen Postproduktion hinzugefügten Nahrungsmittel dem Flughafen.

Die Irritation über die Fleischparade nimmt diese Kontextualisierung einem nicht. Auch ansonsten bleibt vieles an „The Airstrip – Aufbruch der Moderne, Teil III“, dem neuen Werk des Essayfilmers Heinz Emigholz, auf faszinierende Weise opak. Dabei schließt der Film durchaus an die großartigen Architekturfilme des Regisseurs (unter anderem „Schindlers Häuser“, „Parabeton“) an. Zu weiten Teilen besteht auch Airstrip aus Gebäudeporträts, gefertigt nach einer Methode, die man man ebenfalls aus Emigholz’ vorherigen Filmen kennt: Wieder zerlegt er die Gebäude mit rein filmischen Mitteln, mithilfe einer Serie einzelner, starrer Einstellungen, die sich nur in der verzeitlichten Abfolge zu einem synthetischen Ganzen fügen.

Diesmal allerdings orientiert sich Emigholz nicht am Werk eines einzelnen Architekten, sondern filmt Gebäude aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, Epochen, Kontinenten. Besonders eindrücklich: das Abasto de Buenos Aires, ein gigantisches Einkaufszentrum, dessen geschwungene Fassade sich von der urbanen Umgebung schroff abhebt, als sei ein Raumschiff inmitten der argentinischen Hauptstadt gelandet. Die Verbindung zwischen den einzelnen Bauwerken schafft nicht ein biografischer Werkzusammenhang, sondern die bereits erwähnte Voice-over.

Diese Stimme aus dem Off gehört Natja Brunckhorst (die Christiane F. aus „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“), sie klebt gelegentlich auf abstrus literale Art am Bild und macht sich Gedanken nicht nur über Dokumentarfilmkonventionen und die Architektur der Moderne, sondern auch über jene Atombomben, die 1945 über Hiroschima und Nagasaki abgeworfen wurden, aber eigentlich für Berlin und Hamburg bestimmt gewesen waren.

Tatsächlich macht sich der Film in einer besonders rätselhaften Passage auf in Richtung jener Pazifikinseln, auf denen die entscheidenden Schlachten des Pazifikkriegs ausgefochten wurden. Hier filmt Emigholz Ruinen japanischer Militärgefängnisse und die Ladestation, an der die amerikanischen Kampfflugzeuge die Atombomben aufnahmen, bevor sie gen Japan flogen. Und ein weiteres Einkaufszentrum, das seit vielen Jahren leer steht, von Dschungelvegetation überwuchert, von den Geistern der Geschichte heimgesucht wird. LUKAS FOERSTER

■ „The Airstrip – Aufbruch der Moderne, Teil III“. Regie: Heinz Emigholz. Deutschland 2013, 108 Min. Arsenal-Kino, 12., 19. + 26. Oktober