Dokumentarfilm über Nick Cave: Episoden eines Egomanen

„20.000 Days on Earth“ gewährt einen Tagesauszug aus Nick Caves Leben. Seine Geschichten erzählt der australische Rockstar selbst.

Ein Besuch bei Nick Cave zu seinem 20.000 Tag auf Erden. Bild: Rapid Eye Movies

Das Schöne an einer Person wie Nick Cave ist, dass man ewig um sie herumgleiten kann. Hält man dann an einem Punkt inne und mustert die Figur, dann ist Cave zwar immer klar auszumachen, aber die Geschichte um dieses Bild geht doch irgendwie ganz anders als jene, die sich 12 Grad weiter aufgabeln ließe. Das Besondere an einer Person wie Nick Cave ist zugleich, dass sie ewig um sich herumgleiten und sich dabei auch noch selbst erzählen kann. Nick Cave ist sein eigener Storymat.

Wahrscheinlich gibt es ein Gelenk in diesem Hirn, das dies möglich macht. Deswegen haben die beiden Regisseure Iain Forsyth und Jane Pollard (die vor allem etablierte Künstler sind) sich wohl darauf verständigt, ein einzelner Tag im Leben dieses Nick Cave sei vollkommen ausreichend für „20.000 Days on Earth“. Es ist ein Film, der irgendwo zwischen Dokumentarfilm, Biopic, Konzert- und Footagefilm anzusiedeln wäre, wollte man sich die Mühe machen, ihn an einen Ort zu sortieren.

Natürlich ist ein Tag im Leben von Nick Cave kein gewöhnlicher Tag. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass es sein 20.000. ist. Doch trotz aller Ausschläge, die sich in den kommenden Stunden für Cave einstellen sollen, fängt dieser Tag doch an wie wohl für die meisten anderen Menschen auch, nämlich am Morgen. Man sieht also Nick Cave aus weißen Laken steigen, zum Fenster schreiten, Vorhänge zur Seite ziehen und sagen: „This is my 20,000th day on earth.“

Das klingt schon ein bisschen monumental, obwohl es eigentlich nur bedeutet, dass Cave gerade in seinen Fünfzigern steckt. Aber wie er das sagt – man wird direkt ehrfürchtig und denkt: Da ist ein Wesen, das ist so alt wie die Menschheit selbst, oder sogar noch älter. Trotzdem unternimmt Cave erst mal nichts Außergewöhnliches. Er setzt sich in sein Arbeitszimmer in seinem Haus in Brighton und arbeitet.

„20.000 Days on Earth“. Regie: Iain Forsyth, Jane Pollard. Großbritannien 2013, 95 Min.

Regelrechter Kult

Seine Hände gleiten über eine Schreibmaschine, deren Knöpfe Forsyth und Pollard alsbald in die Tasten eines Klavieres morphen. Message verstanden. Nick Cave hat zwei Romane verfasst und ein paar Drehbücher (interessanterweise auch das für diesen Film), ist ein emsiger Tagebuchschreiber und zelebriert einen regelrechten Kult um den Geburtsvorgang seiner Songs.

Zum letzten Album der Bad Seeds, „Push the Sky Away“, erschien etwa ein Buch, das den Entstehungsprozess der einzelnen Texte dokumentiert. Und das Originalbuch ist seinerseits eine Spezialanfertigung einer Freundin aus Australien. Die fertigen Songtexte hält Cave auf der Rückseite alter Buchseiten fest, die er sorgfältig aus diversen Exemplaren herausgetrennt hat, und versieht das Ganze mit ein paar Ziffern, die von einem deutschen Datumsstempel stammen.

Einige dieser vergilbten Blätter kann man in „20.000 Days on Earth“ bewundern, denn in nicht wenigen Einstellungen liegen sie direkt vor Cave. Einem Cave, der weniger im Schreibprozess begriffen ist als in der Aufnahme. Eingespielt wird natürlich „Push the Sky Away“. Gemeinsam mit dem abendlichen Konzert, in denen die Songs dann einem Publikum gereicht werden, bilden diese Blöcke den musikalischen Grundstock des Films.

Prominente Fahrgäste

Damit ist es jedoch lange nicht getan. Cave sitzt zwischen verschiedenen Stationen (einem Besuch im Nick-Cave-Archiv folgt ein Besuch bei Bad Seed Warren Ellis, der gerade gekocht hat) in seinem Auto, er reflektiert über die Küste und das Wetter und nimmt Fahrgäste auf. Kylie Minogue etwa, oder Blixa Bargeld.

Bevor sie verschwinden, tippen sie bestimmte Episoden seiner Geschichte an. Bei Kylie ist diese kurz und schrill, während sich bei der Begegnung mit Blixa Bargeld ein Erinnerungsraum öffnet, der im Film zwar erspürt werden kann, aber viel zu weit ist, um ihn ernsthaft zu beschreiten. Was man Forsyth und Pollard zugutehalten muss, ist, dass sie es schaffen, diese sonderliche Schwingung zwischen den beiden Männern trotzdem zu transportieren.

Anders könnte ein Film wie „20.000 Days on Earth“ kaum funktionieren. Wie sonst wäre an diesem Tag noch Platz für Familienleben (Pizza und irgendein Schocker mit den beiden Söhnen auf der Couch), für eine poetische Rückschau auf die ganzheitliche Eruption, die ihn erfasste, als er auf seine zukünftige Frau stieß oder all die Geschichten, die er erzählt. Die Nick Cave sich selbst erzählt und die er teilt. Und von der man keine missen möchte.

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