DVDESK
: Unwahrscheinliche Freunde

„Jimmy P. – Psychotherapie eines Indianers“ (USA/F 2013, Regie: Arnaud Desplechin)

Jimmy P. hat wirklich gelebt. Ein Indianer aus dem Stamm der Blackfoot, der im Zweiten Weltkrieg für die USA in Frankreich gekämpft hat und nun, im Jahr 1948, als Schwerkranker in einer Klinik in Topeka, Kansas, auftaucht. Es plagen ihn teuflische Kopfschmerzen, Sehstörungen, Depressionen – Folgen eines Unfalls im Krieg, wie er denkt, die ihn arbeitsunfähig machen. Jimmy P. will sein Leben zurück. Er wird untersucht nach allen Regeln der Kunst, aber eine physiologische Ursache für seine Leiden findet sich nicht. Also ruft man einen eigenwilligen Mann aus New York. Georges Devereux hat als Ethnologe drei Jahre bei den Mohave verbracht, er ist ein rumänischer Jude aus dem Banat, der eigentlich György Dobó hieß, lange in Frankreich gelebt hat, wo er sich taufen ließ und seinen neuen Namen annahm. Er studierte bei Marcel Mauss in Paris und dann in Berkeley bei Alfred Kroeber. Bei den Mohave, in deren Kultur Träume zentral sind, hat er die Bedeutung von Freuds Psychoanalyse für die ethnologische Untersuchung erkannt.

Umfangreiche Fallstudie

Georges Devereux hat über Jimmy Picard, der in Topeka sein Patient wird, 1951 eine umfangreiche Fallstudie veröffentlicht, „Realität und Traum“, sie gilt als Gründungsdokument der Ethnopsychoanalyse. Der französische Regisseur Arnaud Desplechin hat, wenn man so will, diese Studie verfilmt. In „Jimmy P.“ erzählt er die Geschichte einer Therapie, einer Analyse, einer Annäherung zwischen den Kulturen, und vor allem erzählt er die Geschichte der unwahrscheinlichen Freundschaft zweier Männer, die sich in die Gesellschaft, in der sie einander begegnen, nicht einfach so fügen. Jimmy Picard ist nicht der Average Joe, oder zumindest ist er daneben und davor noch ein – übrigens katholisch getaufter – Blackfoot namens Oxhonita:he:puya:p („Der Mann, von dem alle sprechen“). Und Georges Devereux ist nicht nur der Mann, der einmal György Dobó war, sondern auch als Psychoanalytiker europäischer Prägung im amerikanischen Mittleren Westen ganz entschieden ein Exot.

Jimmy Picard erzählt Georges Devereux von seinen Träumen und von seinen Frauen. Sie reden und reden und Desplechin hat keine Scheu, sie dabei zu zeigen. Sie reden über die Träume und was sie womöglich bedeuten, und zwar reden sie wirklich miteinander, zwischen Analytiker und Analysand existiert keine kategorische Differenz. Desplechin inszeniert aber nicht nur die Talking Cure, sondern auch Traumszenen, Jimmy Picard bis zur Hüfte im Sand. Bald findet Georges Devereux Eingang in Picards Träume, also fliehen sie gemeinsam im Traum vor dem Bären. Das Träumen vom andern, das gemeinsame Deuten des Traums des andern von einem selbst: Es verbindet.

Auf geraden Linien bewegen sich die Filme von Desplechin nie. Meist sind sie sprunghaft und schnell. „Jimmy P.“ jedoch kreist und macht ein paar Schritte seitwärts. Er durchschlägt keinen Knoten und verzichtet auch auf den Spannungsaufbau. Dass man das Interesse daran dennoch nicht verliert, hat mit der faszinierenden Geschichte der Annäherung dieser beiden Männer zu tun. Und dann sind auch die Darsteller toll: Benicio del Toro spielt Jimmy Picard als einen Mann, der sich selbst ein Rätsel ist und überm Lösen dieses Rätsels zu neuem Leben erwacht. Ihm gegenüber Mathieu Amalric, immer unter Strom, als Therapeut kein Meister der Diskurse, sondern selber einer, der sucht. Als Suche ist der Film auch inszeniert. Er gleitet elegant fotografiert dahin vor offenem Möglichkeitshorizont. EKKEHARD KNÖRER

■ Die DVD ist ab rund 14 Euro im Handel erhältlich.