Roadtrip auf der Suche nach der eigenen Identität

SEITENHIEBE Im Beziehungsgeflecht abseits heteronormativer Vorstellungen: „Bestenfalls alles“ von Tania Witte

Eigentlich wollte Tekgül Carragher ihr Leben endlich in die eigene Hand nehmen: Mit 30 ist sie zu alt für ihren Model-Job, also schlemmt sie, zerkaut sich nach Belieben die Nägel und rasiert sich ihre Haare raspelkurz. Zeitgleich kommt die Annahme zum Kunststudium an der UdK, endlich leben! Doch dann rufen ihre irisch-türkischen Eltern sie ins heimatliche Unna und gestehen: Sie ist adoptiert, heißt nicht Tekgül Carragher, sondern Franziska-Yvonne Pfaff, ist deutsch durch und durch. Ihre Identität ist eine Lüge. Tekgül zieht los Richtung Bodensee, um mehr über ihre biologische Mutter zu erfahren.

„Bestenfalls alles“ ist der dritte Roman von Tania Witte, und das Zerschmettern von Tekgüls Identität zeigt exemplarisch, wie gern Witte mit den Erwartungen ihrer Leser_innen spielt. In den vorhergehenden Romanen, „beziehungsweise liebe“ und „leben nebenbei“, hatte sie Tekgül als Vamp inszeniert, als exotische Schönheit mit politischem Anspruch, angehimmelt von Berlins halber Lesbenszene. Eine, die sich immer durchkämpfen musste, dank Aussehen und Namen immer als Türkin eingeordnet wird. Kein Wunder, dass die Enthüllung ihrer Piefigkeit sie in eine tiefe Krise stürzt.

Auf den Spuren von Armistead Maupins „Stadtgeschichten“ beschreibt Tania Witte das Leben in Berlins queerer Blase: eine Soap-Opera über Alltag und Beziehungsgeflecht einer Handvoll Menschen, die meisten weiblich, alle mit einem Leben abseits heteronormativer Vorstellungen, augenzwinkernd pointenreich beschrieben mit Seitenhieben auf die kleinen Verlogenheiten und Sonderbarkeiten, die ein Mikrokosmos mit eigenen Codes und Werten mit sich bringt.

„Bestenfalls alles“ führt die Handlung aus der Blase Berlin hinaus. Das bedeutet ein paar Queer-Seitenhiebe weniger, aber dafür einen Abgleich mit der Welt da draußen, etwa beim Besuch in Ingolstadt: Dort leben Trans*Frau Liza und Sneakers-Sammler Clemens samt (Adoptiv-)Tochter Sonja (Liza ist ihr Vater) spießig im Haus von Clemens’ Eltern. Und sind glücklich. Soll man sie aus der Berliner Perspektive für den spießigen Lebensstil verdammen oder sich mit ihnen freuen, dass Liza vollkommen als Frau durchgeht?

Glücklicherweise ist Tekgül nicht allein mit diesen Fragen, mit ihr unterwegs ist ihre Freundin Nicoletta, die ihre verschollene große Liebe Isa in Zürich suchen will. Außerdem ist Nicoletta heimlich in Tekgül verliebt. Ihr ambivalentes Verhältnis hält die Story spannend bis zum Showdown in Isas homophobem Elternhaus und in einer Klinik. „Bestenfalls alles“ sorgt dank flotter Schreibe und kleiner Pointen für fröhliche Kurzweil. MALTE GÖBEL

Tania Witte:

„Bestenfalls

alles“.

Querverlag,

Berlin 2014, 288 Seiten, 14,90 Euro