Alles Schrott

MAXIM GORKI THEATER Wer hat den mächtigsten Krieger im Bett? Spaß beim Zickenkrieg zwischen Brunhild und Kriemhild bietet „Der Untergang der Nibelungen“ am Gorki Theater. Wer mehr will, muss lange warten

„Ist doch scheißegal, wem wir das weggenommen haben, wir behalten das.“ Erst im Schlussmonolog findet Hagen Sätze, die deutsche Gegenwart mit dem Mythos verbinden

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Das Gold der Nibelungen ist auch nicht mehr, was es mal war. Im Maxim Gorki Theater tragen die Burgunder schlabbrige Hosen und Hemden, auf die protzige Goldketten und Gürtel aufgedruckt sind. Das sieht nicht nur prollig aus, sondern schon verzweifelt prollig. Und so wirkt auch ihre Liebe zu einem Mercedes, Kennzeichen „BRD“, dessen zu Schrott gefahrene Karosserie sie dennoch ergeben streicheln. Ein Statussymbol für Jungs, die es nötig haben.

So fängt Sebastian Nüblings Inszenierung „Der Untergang der Nibelungen. The beauty of revenge“ nach Friedrich Hebbel an: mit einem akustischen Crash, Knallen und Splittern. Die dann aus den Wagentüren springen, aasig glatt und sich zu einem Beat wippend präsentieren wie die Models auf dem Laufsteg, scheinen kein Bewusstsein davon zu haben, was sie schon kaputt gemacht haben.

Der Liebe zum Trash setzt dann Brunhild, die rauchend dem Kofferraum entsteigt, noch eins drauf. Sie wird, mit Bart und langen roten Haaren, von Till Wonka als ein verschrobenes und abweisendes Mannweib gespielt, dessen unwirsches Agieren nicht zuletzt auf der Wut auf eine Figur beruht, die ihre unbesiegbare Jungfräulichkeit als Schatz vor sich herträgt. Wie sie den Burgunderkönig Gunther wiederholt vom Autodach schubst und mit Kriemhild darum konkurriert, wer den mächtigeren Krieger im Bett hatte, das ist lustig.

Aber über dieses Herunterbrechen der „Nibelungen“ auf ein boulevardeskes Gerangel um Potenz kommt die Inszenierung lange nicht hinaus. Sie hält dem Mythos erst mal nicht viel entgegen. Alles bleibt Oberfläche, die zwar mit vielen Zeichen von Queerness durchsetzt ist, die aber bald als nicht mehr als ein Gag erscheinen.

Es waren die Dichter der Romantik, die sich für die tragische Größe im Untergang der Nibelungen begeisterten und die Sehnsucht nach einer deutschen Ilias damit befriedigt sahen. „Diese Gedichte sind nicht einen Schuß Pulver wert und verdienen nicht, aus dem Staube der Vergessenheit gezogen zu werden“, meinte hingegen Friedrich der Große, der fürchtete, dass sich ein aufstrebendes und gegen Preußen gerichtetes Nationalbewusstsein an diesen Helden berauschte. Das Schwärmen der Nationalsozialisten für das Schlachten der Könige und Königinnen belastete die Rezeptionsgeschichte schließlich schwer, besonders Görings Vergleich des Sterbens der Soldaten bei Stalingrad mit dem Untergang der Nibelungen.

Wer nun erwartete, dass es am Gorki Theater bei einer Dramatisierung der Nibelungen auch um Nationalbewusstsein heute ging, bekam erst mal nicht viel mehr als den Schrottmercedes hingestellt. Erst im zweiten Teil, als Kriemhild bei den Hunnen untergekommen ist, dreht sich das Bild. Die Bewegungen werden ritualisierter, die Kostüme der Hunnen sind zwischen Fecht- und Dienstbotenkleidung stilisiert, die Sprache ändert ihr Klangbild. Der Text, immer noch die Verse von Friedrich Hebbel, steuert auf das Finale zu, Kriemhilds tödliche Rache an ihren Brüdern und deren Berater Hagen, die gemeinsam den Mord an ihrem geliebten Siegfried begingen. Angstschlotternd stehen die zusammen, umgrenzt von einer roten Kordel, die sie wie ein Denkmal der Feigheit umrahmt.

Dann beginnen die Bilder zu irritieren, entfernen sie sich doch vom Text. Statt selbst ermordet zu werden, murkst Hagen zwei kleine Mädchen ab, die Verse des mittelhochdeutschen Nibelungenlieds vortragen; dafür haben die ihren Tod Erwartenden jetzt wirklich keinen Nerv. Schließlich passiert das Unerwartete und die größte Abweichung vom Mythos. Es reicht Kriemhild und den Heunen, sich und den gedemütigten Hagen als Selfie zu fotografieren. Das ist ein beiläufiger Akt und doch ein großes Symbol: Die Multitude braucht keine germanischen Mythen mehr.

Was dann folgt, die letzten Minuten der Aufführung, ist ein Hagen, der, da seine Ermordung ausfiel, völlig von der Rolle ist. Kein heroischer Untergang? Verzweifelt zählt er sich andere nationale Werte auf, Qualitätsbeine im Fußball, murmelt, auf den Schatz der Nibelungen bezogen: „Ist doch scheißegal, wem wir das weggenommen haben, wir behalten das“, und findet viele Sätze mehr, die, was als deutsche Leistung der Gegenwart gilt, schön schräg mit den Nibelungen verknüpfen. Eine glanzvolle Kabarettnummer. Aber leider erst am Ende der Inszenierung.

Hagen wird übrigens sehr nuancenreich gespielt von Dimitrij Schad. Von Anfang an kauert er zusammengefaltet auf einem Stuhl auf der Bühne, ein Außenseiter der Jungensgang, aber stets gefragt, wenn die nicht weiterweiß. Mit seinen leisen Auftritten ist er psychologisch viel überzeugender als die Burgunderkönigskinder mit ihren lauten. Für die anderen Schauspieler sieht das Regiekonzept eine solche Vielseitigkeit der Figur leider nicht vor, sie kleben fest in eindimensionalen Entwürfen. Das ist unerwartet, denn Sebastian Nübling zeichnet sonst aus, dass seine Figuren offen für differenzierte Entwürfe sind. Doch diesmal wirkt der Zugriff eher wie ein Hau-weg-den-Scheiß.

■ Wieder am 30. und 31. Oktober, 19. und 28. November