Der Klassiker lebt weiter

COMIC Bewahrung der Tradition? Vorsichtige Modernisierung? Edgar P. Jacobs’ Abenteuer um Blake und Mortimer finden interessante Fortsetzungen

Im aktuellen Band spielt eine Frau wieder eine wichtige Rolle – so etwas kam bei Jacobs kaum je vor!

VON CHRISTOPH HAAS

Wie geht man mit einem großen Kulturerbe um? Lässt man es stehen wie ein Monument und hofft darauf, dass künftige Generationen noch etwas mit ihm anzufangen wissen? Oder versucht man es fortzuschreiben, es behutsam der Gegenwart anzupassen, ohne seine Substanz zu verändern?

Im Fall von zwei der berühmtesten frankobelgischen Comic-Serien kann man beide Strategien beobachten. Nach dem Tod von Hergé vor gut 30 Jahren hat es keine weiteren „Tim und Struppi“-Alben gegeben, und solange die Rechte der Erben nicht erloschen sind, wird es dabei wohl bleiben. Anders ist es bei Edgar P. Jacobs.

Aufgrund des enormen dokumentarischen und zeichnerischen Aufwands, den Jacobs betrieb, lagen, als er 1987 starb, von seiner „Blake und Mortimer“-Reihe nicht mehr als acht, zwischen 1946 und 1971 entstandene Abenteuer vor. Inzwischen sind acht weitere dazugekommen; mit Ted Benoît und André Juillard waren mehrfach Stars der französischen Szene für die Zeichnungen verantwortlich.

Mit der „Septimus-Welle“ hat sich das aktuelle Team, das aus dem Szenaristen Jean Dufaux sowie den Zeichnern Antoine Aubin und Étienne Schréder besteht, sehr viel vorgenommen. Denn dieser Band schließt direkt an „Das gelbe M“ an, die beste aller „Blake und Mortimer“-Geschichten. Der Physik-Professor Philip Mortimer und sein Freund, der MI5-Agent Francis Blake, bekamen es dort mit dem mad scientist Septimus zu tun, der mithilfe eines von ihm erfundenen Geräts Menschen wie Roboter zu steuern vermochte. In „Die Septimus-Welle“ scheint der alte Widersacher nun von den Toten auferstanden zu sein – zumindest bevölkern plötzlich lauter Männer, die ihm bis aufs Haar gleichen, die Londoner City.

Im Vergleich mit dem legendären Vorbild schneidet „Die Septimus-Welle“ gar nicht schlecht ab. Zwar besitzt das Album nicht die visuelle Kraft, mit der Jacobs unvergessliche Bilder des nächtlichen, nebligen und verregneten London zu entwerfen verstand. In inhaltlicher Hinsicht klappt aber auch hier, wie schon bei den anderen, in den vergangenen Jahren veröffentlichten „Blake und Mortimer“-Abenteuern der Drahtseilakt zwischen Bewahrung der Tradition und vorsichtiger Modernisierung. So spielt wieder eine Frau eine nicht unwichtige Rolle – so etwas kam bei Jacobs kaum je vor! –, und in einem Schlüsselmoment sind die Grenzen zwischen Gut und Böse nicht mehr so deutlich gezogen, wie es sonst immer der Fall ist.

Einen wesentlich radikaleren Umgang mit dem „Blake und Mortimer“-Mythos findet sich in „Das letzte Kapitel“. Hier sind die beiden Helden müde geworden und haben sich längst in den Ruhestand zurückgezogen. Um die Welt jagen, Gefahren trotzen – das können und wollen sie nicht mehr. Dann aber erreicht sie der Brief eines sterbenden Freundes, des Scheichs Abdel Razek, dem sie in „Das Geheimnis der großen Pyramide“, einem ihrer ersten Abenteuer, begegnet sind, und die zwei alten Herrn müssen noch einmal aufbrechen, zu einer letzten Fahrt.

„Das letzte Kapitel“ ist kein Comic, sondern ein Bilderbuch. Die Handlung wird ausschließlich in den Briefen erzählt, die Blake und Mortimer einander schreiben; dazu kommen die ganzseitigen Illustrationen von André Juillard. Der Nachteil ist, dass sich alles, was hier geschieht, so stark auf „Das Geheimnis der großen Pyramide“ bezieht, dass es ohne Kenntnis dieses zweiteiligen Albums weitgehend unverständlich bleiben muss.

„Das letzte Kapitel“ ist eine Fußnote – und dennoch sehr beeindruckend. Die Aquarellbilder Juillards passen in ihrer zarten Melancholie perfekt zu Didier Convards Story, die um Traum und Tod kreist, um die Reisen der Seele.

Mehr über den Schöpfer von „Blake und Mortimer“ lässt sich in der Comic-Biografie „Der Fall E. P. Jacobs“ erfahren. Jacobs, wie Hergé in Brüssel geboren, konnte sich lange nicht zwischen zwei Berufungen entscheiden. Als klassisch ausgebildeter Sänger, der auf Bühnen auftrat, hatte er ebenso viel Potenzial wie als Zeichner. Zum Comic kam er eher durch Zufall, als er während des Zweiten Weltkrieges einer Jugendzeitschrift von einem Tag zum anderen Ersatz für den nicht länger aus den USA verfügbaren „Flash Gordon“ liefern musste.

Störend an „Der Fall E. P. Jacobs“ ist, trotz vieler interessanter Details, der bewusst harmonisierende Blick auf das Leben des Künstlers. Alles Heikle, wie etwa das Scheitern seiner ersten Ehe oder sein bitteres Zerwürfnis mit Hergé, wird allenfalls angedeutet. Durchwachsen ist auch die Qualität der Zeichnungen von Louis Alloing. Das Abbilden von Menschen ist nicht unbedingt seine Stärke. Besser gelingen ihm die Hintergründe. Diese wirken zwar häufig sehr künstlich, sehr kulissenhaft, verweisen gerade dadurch aber auf das Opernhafte, das die „Blake und Mortimer“-Welt besitzt: So ist in der Schilderung des Realen das Imaginäre bereits präsent.

■  Jean Dufaux (Text) / Antoine Aubin, Étienne Schréder (Zeichnungen): „Die Abenteuer von Blake und Mortimer“. Bd. 19: „Die Septimus-Welle“. Aus dem Französischen von Harald Sachse. Carlsen Verlag, Hamburg 2014. 68 Seiten, 12 Euro

 Didier Convard (Text) / André Juillard (Zeichnungen): „Blake und Mortimer – Das letzte Kapitel“. Aus dem Französischen von Harald Sachse. Salleck Publications, Wattenheim 2014. 48 Seiten, 15 Euro

■  Rodolphe (Text) / Louis Alloing (Zeichnungen): „Der Fall E. P. Jacobs. Ein Leben für den Comic“. Aus dem Französischen von Harald Sachse. Carlsen Verlag, Hamburg 2014. 112 Seiten, 19,90 Euro