Er blieb immer Zeitgenosse

GEDENKVERANSTALTUNG „Wie ein Stück von den Talking Heads, eine Fußnote von Theweleit, eine Single von Mittagspause“: Die Erinnerung an Harun Farocki in der Akademie der Künste machte klar, es braucht die historisch-kritische Werkedition

Als Harun Farocki im Juli dieses Jahres im Alter von 70 Jahren starb, war das Entsetzen über seinen vollkommen überraschenden Tod weltweit groß, so zur Unzeit kam er: Im Hamburger Bahnhof war zu dieser Zeit noch seine Videoinstallation „Serious Games“ zu sehen. Bei der diesjährigen Ruhrtriennale wurde posthum sein Langzeitprojekt „Eine Einstellung zur Arbeit“ gezeigt. Derzeit läuft in den Kinos noch Christian Petzolds „Phoenix“, an dessen Drehbuch Farocki mitgearbeitet hatte. Der Regisseur war gerade in einer besonders produktiven Periode.

Gut drei Monate später hat sich die Akademie der Künste so weit aus der Schockstarre befreit, dass sie eine Hommage für eines ihrer prominentesten Mitgliederorganisieren konnte. Am Samstag wurden am Hanseatenweg eine Auswahl von weniger bekannten Arbeiten Farockis gezeigt. Ehemalige Weggefährten erinnerten sich in kurzen Vorträgen an den Filmemacher. Schon die Zusammensetzung des Publikums von Studenten bis zu Leuten der eigenen Generation zeigte: Farocki blieb immer Zeitgenosse, auf den sich die Nachfolgenden beziehen konnten.

„Wie ein Stück von den Talking Heads, eine Fußnote von Theweleit, eine Single von Mittagspause“ erschienen Christian Petzold die Texte von Farocki, die er 1980 in der Zeitschrift Filmkritik las. Der Mitbegründer der „Berliner Schule“ war durch Dreharbeiten für seinen neuen Film – an dessen Drehbuch Farocki noch mitgewirkt hatte – in München aufgehalten worden.

Daher las Farockis Ehefrau Antje Ehmann eine kurze Widmung, dann zwei von Petzold ausgewählte Texte Farockis vor: Beschreibungen von zwei Münchner Kinos, erst der Besuch einer Vorführung von „Plattfuß räumt auf“, einer Bud-Spencer-Klamotte, in einem Ottobrunner Vorstadtkino mit Bravo-Postern im Foyer, und dann dem Kino eines Beate-Uhse-Sexshops. Minutiös beschrieb Farocki die Metallchips, mit denen man für 10 Mark Einlass in Filmkabinen erhielt, um sich vier Minuten 8-Millimeter-Pornofilm mit Soundtrack aus einem Telefonhörer anzusehen. Präzise Texte wie diese machen klar, dass Farocki ein genauer Beobachter von Medienkultur war.

In einer Dokumentation über das Experimentalfilmfestivals im belgischen Knokke anno 1967 sah man den Studentenrevolutionär Farocki, wie er das Event mit politischen Aktionen aufmischte und Geld für den Vietcong sammelte. Die Themen, die er zu dieser Zeit entdeckte, entwickelte er in den nächsten knapp vier Jahrzehnten in mehr als 90 Filmen ständig weiter: die Kritik von massenmedialer Bildproduktion und des militärisch-industriellen Komplexes, die Darstellung von Arbeit und die Bedingungen kultureller Produktion. Von „einer der erfolgreicheren 68er-Karrieren“ sprach der Filmkritiker Bernd Rebhandl, der auch Erinnerungen an gemeinsames Fußballgucken mit Farocki beisteuerte. (Der hatte es nicht gern, wenn dabei gequatscht wurde, erfuhr man.)

In den 70er Jahren musste er sein Geld mit Auftragsarbeiten wie „Sarah Schumann malt ein Bild“ von 1978 verdienen, der zunächst in der „Sesamstraße“ und dann in einer 30-Minuten-Fassung in einer Kultursendung des NDR lief. Der Film über die Entstehung eines Gemäldes, den die Münchner Künstlerin Michaela Melian dem Neverland der öffentlich-rechtlichen Senderarchiv entrissen hat, ist nebenbei auch ein bemerkenswertes Porträt der Westberliner Kunstszene, der Farocki zu dieser Zeit eben auch angehörte.

Doch Filme wie der über das Gespräch mit Vilém Flusser zeigen, dass Farocki immer auf der Höhe des Diskurses, anschlussfähig blieb. Wenn es neben Werner Herzog einen deutschen Filmregisseur der Nachkriegszeit gibt, der eine historisch-kritische (und multimediale) Edition verdient, dann ist es Harun Farocki – auch das machte der Abend klar. TILMAN BAUMGÄRTEL