Zerbrechliche Augenblicke

GLAMOUR Mit großer Sensibilität porträtiert Thomas Wallner in „Gardenia“ queere Darsteller

Die Kamera tanzt. Sie umkreist Vanessa, Richard, Danilo und Gerrit, als wären sie Skulpturen aus Porzellan. Ihre Bewegungen sind eingefroren, ein Bein auf den Stuhl gestellt, den Kopf in den Nacken gelegt, breit lächelnd und mit leuchtenden Augen, sind sie mitten in einem Striptease auf einer Bühne, voller Glück mit dem Betrachter kokettierend. Doch es ist nicht Nacktheit, was hier die Sensation ausmacht, sondern zarte Damenunterwäsche, die unter den akkuraten Dreiteilern, die sie eben noch trugen, hervorkommt.

Das ist ein Moment von großer Zerbrechlichkeit und Monumentalität zugleich. Er setzt dem Umschalten von männlicher Erscheinung in überbordende Weiblichkeit ein Denkmal. Die Mimik der Darsteller zeugt in diesem Augenblick von Erleichterung und Befreiung. Doch der kurze Stopp in der Verwandlung stellt auch die Künstlichkeit dieses Augenblicks aus – er bedarf des Schutzraums einer Bühne, um stattfinden zu können.

Der Film „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“ beruht auf einem Theaterstück, das der Choreograf Alain Platel und der Musicalregisseur Frank Van Laecke vor einigen Jahren mit und über eine Gruppe von Travestie-Künstlern, Transvestiten und Transsexuellen entwickelten. Der Film von Thomas Wallner entstand am Ende einer Tournee von 200 Vorstellungen, mit denen „Gardenia“ weltweit Erfolge feierte. Der Film teilt mit dem Stück die Hingabe an die Darsteller und eine tiefe Melancholie, die auf dem Wissen um das Altern und die Endlichkeit des Begehrtwerdens beruht.

Wie das Theaterstück knüpft auch der Film an die großen Diven an, die Vanessa Van Durme, Gerrit Becker, Richard Dierick und Danilo Povolo in Shows verkörpert haben. Doch während das Bühnenstück kaum den Rahmen des Auftritts und der extrovertierten Präsentation der doppeldeutigen Identität verließ, sucht der Film den Weg hinter die Kulissen, in die Garderoben und an die Schminktische an einem Theater in Gent und begleitet seine Helden nach Hause.

Es sind schön eingerichtete und intim ausgeleuchtete Wohnungen, in denen nun erzählt wird: aus der Kindheit, als Andrea seine Mutter fragte, ob der Arzt aus ihm ein Mädchen machen kann. Sie lebt heute mit einem großen Hund für das Knuddeln, engagiert sich für die sozialistische Partei, und kandidiert für das Amt der Bürgermeisterin. Auf ihre geschlechtsumwandelnde Operation blickt sie mit dem schönen Satz zurück: „Ich betrat den OP als Julius Cäsar und verließ ihn als Kleopatra.“ Danilo sieht man putzen in einem Bordell, ein Job, der sich an seine Jahre als Prostituierte anschloss; ein nie einfaches Leben, das er sehr lakonisch kommentiert.

Sie alle reflektieren die eigene Geschichte, die oft hohen ökonomischen und sozialen Kosten, die sie für die Annäherung an ihre Träume zahlten. Die Schauspielerin Vanessa Van Drume, von der das Konzept zu „Gardenia“ kam, verschuldete sich mit ihrer Operation in Casablanca. Die Türen öffneten sich danach nicht für sie als Frau, mehr wie ein Monster bestaunt und ausgeschlossen fand sie sich wieder. Die berührendste Geschichte kommt von Rudy Suwyns, mit 70 Jahren der Älteste im Team. Als Regierungsangestellter habe er sein Leben lang Angst gehabt, seine Homosexualität zu zeigen und zu leben; erst mit „Gardenia“ wurde die geheime Existenz zum Bild und der Erfolg des Stücks zur großen Ermutigung in seinem Leben.

Warum, kann man sich in diesem gelungenen Porträtfilm fragen, sind es gerade Filme über Transvestiten und Travestie-Künstler, die mit solcher Intensität und emotionaler Kraft von dem Mut erzählen, den es braucht, anders und nicht einzuordnen zu sein? Als benötige man den Blick auf sie, als benötige man auch ihren Glamour und ihr Pathos, um sich etwas zu verdeutlichen, was eigentlich jeden betrifft: die Arbeit an der Konstruktion der geschlechtlichen Identität. KATRIN BETTINA MÜLLER

■ „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“. Regie: Thomas Wallner. Deutschland 2012, 88 Min.