Die verbotene Erinnerung

THEATER Wut als Ressource der Kunst prägt die Reihe Voicing Resistance im Gorki-Studio. „Aufstand“ von Mely Kiyak passt da hervorragend und pendelt zwischen Wutanlässen in Deutschland und in der Türkei

Manchmal täte eine Umarmung gut. Ein wenig Solidarität, um aus der Rolle des Stigmatisierten herauszukommen. Aber als Bênav, ein Lehrer und Künstler aus Diyarbakir, diese Umarmung endlich zuteil wird, in Istanbul, während der Proteste im Gezi-Park, da sind es die falschen, die ihn umarmen. Beziehungsweise, ihre Geste kommt zu spät. Denn die, die jetzt rufen „Wir sind alle Kurden“, um symbolisch die Multitude zu feiern, hat er zuvor noch als Mitglieder einer türkischen Künstler-Community erlebt, die ihn ausschließen ließen. Weil sie fürchteten, dass seine Kunstprojekte Ärger bringen würden. Denn Bênav, der als Kind mit seinen Eltern aus seinem kurdischen Dorf vertrieben wurde, kratzt in seinen Video-Performances immer wieder am Schweigen über diese Geschichte.

„Aufstand“, der „Monolog eines wütenden Künstlers“, der am Donnerstag im Studio des Gorki-Theaters Premiere hatte, bewegt sich über viele Umwege auf diese Enttäuschung zu. Er erzählt von Ausstellungen, an denen Bênav dann doch nicht teilnehmen durfte, davon, wie der Direktor seiner Schule in Diyarbakir ihm seine Kunst als parasitäres Rebellentum vorwirft und von einem daad-Stipendium in Berlin. Und immer wieder von der Erfahrung, an einem „wir“ anzuecken, das ihn nicht meint und ihn ausschließt – es sei denn, er vergisst, dass er Kurde ist.

Der emotional stürmische Text stammt von der Autorin Mely Kiyak, bekannt als Kolumnistin und Journalistin (u. a. in der Zeit, FAZ, taz), die dabei auch ihre Erfahrungen während der Proteste in der Türkei verarbeitet. Mehmet Yilmaz, schlaksig und zappelig, spielt in der Regie von András Dömötör, Bênav vor allem als den Unsicheren, der sich selbst für eine ungeeignete Besetzung für die Rolle des Aufständischen hält. Als Lehrer ist er gut und auch als Künstler, der das Nichtreden, die Lücke in den Geschichtsbüchern fintenreich markiert. Zum Aufständigen aber wird er gemacht, weil er auf das Erinnern nicht verzichten will. „Erinnerung ist Aufstand“, ist sein letzter Satz.

Die Inszenierung, die ins Repertoire aufgenommen wird, ist Teil des Programms „Voicing Resistance“, die mit der Aktion „Die Verwundeten“ des Zentrums für Politische Schönheit begann. Mely Kiyak, die auch eine Theater Kolumne am Gorki-Theater schreibt, kommentierte dort die Aufregung über die entwendeten Gedenkkreuze: „Mein Gott, unser Land platzt aus allen Nähten vor Gedenkstätten. Weil unsere Historie so reich ist an Verbrechen. Und während die Gedenkstätten errichtet werden, werden wieder neue Verbrechen begangen. Das ist nicht nur bei uns so. Das ist überall auf der Welt so.“ Ein Trost ist das nicht. Erst recht nicht, wenn man ihr Stück gesehen hat.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Wieder am 11. + 26. Dezember um 20.30 Uhr im Gorki-Studio