Texte, Tee und tolle Typen

THEATER UND FLÜCHTLINGE Das Stadttheater Bremerhaven besucht Flüchtlinge in ihrem neuen Zuhause zu „Heimatabenden“. Damit liegt die Bühne im Trend: Kaum ein Theater in Norddeutschland kommt derzeit an der Flüchtlingsthematik vorbei. Viele verfolgen durchaus praktische Ansätze

VON JENS FISCHER

Gut fühlt sie sich an, duftet angenehm. Jeder kommt aus ihr, seiner Mutter Heimat. Aber dann läuft global irgendetwas schief und lokal aus dem Ruder. Armut, Hungersnot, Verfolgung, Unterdrückung, Krieg. Also Flucht.

Das Stadttheater Bremerhaven veranstaltet jetzt „Heimatabende im Exil“: bei Flüchtlingsfamilien zu Hause. Wurden 2012 Gefängnisse, Hospize und Seniorenwohnheime zur Adventszeit mit künstlerischen Darbietungen beschenkt, konnten sich alle Bremerhavener 2013 den Besuch musizierender, singender, schauspielernder Theatermacher wünschen.

„In diesem Jahr wollten wir nicht so privatistisch, apolitisch, kuschelig vorgehen“, erklärt Dramaturg Lennart Naujoks. Und spielt Vermittlungsagentur: Zusammengebracht werden die Gastfreundschaft der Flüchtlinge und die Neugierde der Theaterbesucher. Texte würden gelesen, Tee werde gereicht und geredet über Heimat und die Biografie der Gastgeber. „Starke Geschichten, interessante Typen, die der Abstraktion Flüchtling ein individuelles Antlitz geben“, sagt Regisseur Georg Florian und betont, „dass niemand eine Rolle spielt, nichts inszeniert, nur eine Situation konstruiert ist – zur Begegnung“. Die Schauspieler seien Rezitatoren und Moderatoren des Abends.

„Zu Yanda, einem jesidischen Syrer, der mit Bruder und Schwester zusammenlebt, geht es am 1. Advent“, verrät der Regisseur. Und Naujoks berichtet: „Bei unserem Vorbereitungsbesuch waren wir überrascht, warum sie auf dem Fußboden schlafen und ihr Wohnzimmer so leer ist. Wir erfuhren, dass das nicht der Armut geschuldet sei, sondern daheim in Syrien so üblich war.“

Die Bremerhavener Hausbesuche sind nur eine, besonders radikale Variante der Befassung mit dem Thema Flucht. Seit längerem fühlen sich Theater durch das Elend der Flüchtlinge als moralische Anstalten herausgefordert und wollen den richtigen Zeitpunkt, sich zu engagieren, nicht verpassen. Sie wollen Institutionen öffnen, Ressourcen nutzen, um die eigene Relevanz für den gesellschaftlichen Dialog zu fokussieren. Nur wie?

Schnell Partei ergreifen und aus der sicheren Position einer weißen, westeuropäischen Wohlstandsbildungsbürgerin für die Geflüchteten zu sprechen, empfindet Dramaturgin Regula Schröter vom Theater Bremen als „Anmaßung“. Sie sagt: „Trotz der täglichen Berichterstattung: Wir sind hin und her gerissen zwischen konfusen Gefühlen oder ungesicherten Fakten, wir wissen sehr wenig.“ Empathie für Flüchtlinge, Vertriebene, Exilanten, Einwanderer, Asylbewerber, Spätaussiedler werde gerade in vielen Stücken bedient.

In den Foyers soll es nun auch um Wissenserweiterung gehen. Motto: „Faktencheck“. Vorträge, Diskussionen, Debatten auf Podien oder an runden Tischen, Dialogmanagement im Bar- oder Café-Ambiente. Theater suchen selbst verwaltete Flüchtlingsprojekte, denen sie Obdach gewähren und das hauseigene Referat für Öffentlichkeitsarbeit zur Nutzung anbieten möchten.

Die Bremer haben auch mit der Idee gespielt, statt im Jelinek-Jargon „Die Schutzbefohlenen“ auftreten zu lassen, den Produktionsetat zu spenden und ein Pappschild auf die leere Bühne zu stellen mit der Aufforderung, „sich Gedanken über das eigene Verhältnis zum Thema zu machen“. Doch Schröter sagt: „Das kam uns dann aber wie Ablasshandel vor.“

Das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg verzichtete auf eine Premiere im großen Haus, um mit dem Geld auf der Elbinsel Veddel Integrationsversuche für „New Hamburg“ voranzutreiben. Begegnungsmöglichkeiten wurden geschaffen, Sprachkurse, Fußballspiele, Feste, ärztliche Beratung und Kinderfreizeitaktivitäten organisiert, Besucher zu geführten Spaziergängen geladen. Sozial- trifft PR-Arbeit. Performance einer Stadtentwicklung der Zukunft?

Eine Umfrage bei norddeutschen Stadt- und Staatstheatern ergab: Nur wenige verzichten auf Angebote zur Flüchtlingsthematik. In Wilhelmshaven hat die Landesbühne allein dadurch große Akzeptanzprobleme beim Publikum und Stammtischbürger, dass sie ein Stück wie Björn Bickers „Deportation Cast“ angesetzt hat.

Andere Bühnen suchen Möglichkeiten, zu helfen, Solidarität zu üben oder ganz konkret politisch zu werden. Wie das Thalia Theater mit seinem Engagement für die Afrikaner der Lampedusa-Gruppe im Asyl der St. Pauli Kirche. In Lübeck wurden Zuwanderer zu einem Chor formiert, um so besonders nachdrücklich ihre Forderungen konzertieren zu können. Lieder aus ihrer jeweiligen Heimat führten Osnabrücker Ensemblemitglieder mit Bewohnern des migrantisch geprägten Rosenplatzviertels auf. Mehrsprachige Theatermitarbeiter bieten an vielen Häusern Theaterführungen für Flüchtlinge an.

Dass Flüchtlinge Freikarten bekommen, ist inzwischen fast selbstverständlich. Gerade für Kinder, die nach spezieller Einführung in die Weihnachtsstücke geladen werden. Benefizabende und Spendensammlungen sind Usus. Tanzworkshops mit Flüchtlingen sind wegen der nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten sehr beliebt. Allerdings ist auch von der Schwierigkeit zu hören, Flüchtlinge ans Haus zu holen, die zumeist noch nie in einem Theater waren und von ihren teilweise traumatisierenden Erfahrungen nicht sprechen möchten, die Material für Stückentwicklungen und Klassikeraktualisierungen liefern könnten.

Bürgerbühnen gelingt manchmal eine direkte Ansprache, etwa in Braunschweig gelangen Kooperationen auf Augenhöhe. Vorbildlich für die Jugendsparte ist das Staatstheater Hannover: Unter dem Titel „Tor zur Freiheit“ lud es theateraffine Schüler und jugendliche Flüchtlinge zu einer wochenlangen Besetzung ihrer Ballhofspielstätte, um miteinander zu wohnen, zu reden, zu feiern und einen Parcours von Erzählstationen zu kreieren.