Glaubwürdigkeit klingt besser

POP Jung mit Alt: In Köln fand von Donnerstag bis Sonntag das Weekend-Festival statt. Stars wie Jarvis Cocker trafen auf Talente wie Kate Tempest

Freitagnacht, halb zwei in Köln-Mülheim. In der Kellerbar der Stadthalle, einem imposanten Bau aus den sechziger Jahren, legt der britische Popstar und Sänger der Band Pulp, Jarvis Cocker, Songs zwischen frühem Post-Punk und später Disco auf. An der Theke steht ein Bekannter. „Wenn wir alle 20 Jahre jünger wären“, sagt er, „wäre es jetzt das geilste Festival überhaupt.“ Es ist wieder Weekend-Fest.

Zum vierten Mal fand das Festival am vergangenen Wochenende statt, drei Tage lang standen Indie-Connaisseure vor der Bühne im holzvertäfelten Saal der Mülheimer Stadthalle. Die Mischung ist dabei seit vier Jahren ähnlich. Junge Bands, ausgestattet mit reichlich angelesenem popkulturellem Kapital treffen auf Musiker aus der Generation, die dafür gesorgt hat, dass sich so etwas wie ein popkulturelles Kapital erst herausbilden konnte.

Wegweisend verbunden

Ohne die wegweisende Verbindung aus Dub, Post-Punk und Salsa von ESG am Freitag wäre die Musik der New Yorker Afrobeat-Post-Punk-Band Sinkane, die einen Tag später spielt, kaum vorstellbar. Dabei sind sich die Generationen vom Sound her teils ähnlicher, als man denkt. Wenn man einen empirischen Beweis für die These braucht, dass Pop sich im Stadium von Retro und Musealisierung befindet, findet man beim Weekend-Fest reichlich Indizien. Die Kölner Instrumentalband Von Spar wandelte bei ihrem Auftritt so stilsicher zwischen Achtziger-Jahre-Synthie-Pop und überproduziertem Dudelradiorock, dass einige Zeitgenossen, die diese Musik noch aus ihrer Jugend kannten, den Auftritt wegen schlechter Erinnerungen lieber im Foyer verbrachten. Aber damit blieben sie in der Minderheit. Denn das Weekend-Fest zeigt auch, dass nicht jeder Ausflug in die Vergangenheit automatisch in einer Pastiche enden muss.

Die 28-jährige Rapperin Kate Tempest aus London beginnt ihr Set etwa mit einem zweiminütigen Spoken-Word-Monolog über eine junge Frau namens Becky und einen Drogendealer namens Henry. Sie lernen sich auf einer Party kennen. Und schon während dieser zwei Minuten wird klar: Hier kanalisiert jemand eine alte Schule britischer Reimerzähler zwischen dem Punk-Dichter John Cooper Clarke und den Alltagserzählungen von The-Streets-MC Mike Skinner, ohne in einer dieser beiden Schulen aufzugehen.

Stattdessen brechen die Geschichten von Tempest immer wieder mit der Lakonie und münden in einem Plädoyer – wofür genau, ist letztlich egal. Hauptsache, man bleibt irgendwie glaubwürdig, so wie Tempest, die ihre Botschaften durch ihr Auftreten transportiert. Dabei hilft ihr eine Band, die mit zwei Schlagzeugern plus MPC für reichlich Druck sorgt.

Überhaupt steigen und fallen die meisten Auftritte beim Weekend mit den Schlagzeugern. Das Set von A Certain Ratio wird durch einen Presslufthammer an der Schießbude jeglicher Grooves beraubt, während sich die Rhythmussektion von Sinkane einem sacht groovenden Afrobeat hingibt, über den Sänger Ahmed Gallab immer wieder seine glasklare Stimme erhebt.

Auch Owen Palletts queerer Kammerpop gewinnt durch seinen sensibel und präzise spielenden Schlagzeuger. Und der Experimentalmusiker Pierre Bastien wird von seiner Rhythmussektion niemals im Stich gelassen – sie besteht aus kleinen Nockenwellen mit Flügeln, deren Rotation Bastiens Collagen aus Musique Concrete und Found-Footage immer einen sanften Groove verleiht.

Das finden auch die 150 Zuschauer im Nebenraum der Stadthalle, die Bastien zu einer Zugabe aufforderten, die er aber leider nicht programmiert hatte. Die größte Begeisterung blieb aber für die Geschwister Scroggins von ESG reserviert.

1978 hatten sie in einem Sozialbau in der Bronx ihre Band gegründet, ihre ersten Aufnahmen gelten als essenziell für die New Yorker Post-Punk-Szene, der Gitarrensound ihres Hits „UFO“ ist ein Klassiker im Sampleschatz des Old-School-HipHop. Am Freitagabend wurde deutlich, warum das so ist.

Präzise zusammengefügt

In der Musik von ESG vereint sich alles, was New York in den frühen Achtzigern interessant machte: Disco, Salsa, Dub, Funk und Post-Punk. Aber in den Händen von ESG wurden diese Stile nicht zu einem eklektischen Mischmasch zusammengerührt, sondern skelettiert und präzise ineinandergefügt. Die Songs von Renee Scroggins und ihren Schwestern sind minimalistisch, aber dennoch funky. Sie grooven spröde, aber voller Soul. Die ESG-Geschwister performen sie trotz fortgeschrittenem Lebensalter mit einer überbordenden Energie, reißen die Klanghölzer in die Höhe und tanzen trotz Knieverletzung über die Bühne.

Es gab keinen Generationenkonflikt auf dem diesjährigen Weekend-Fest. Aber wenn es einen gegeben hätte, ESG wären die klaren Gewinner.

CHRISTIAN WERTHSCHULTE