Bairisch klingt ja ziemlich russisch

THEATER Zum intimen Guckkasten auf den Dachboden der russischen Seele wird das Stück „Hundeleben“, ein Gastspiel im Fliegenden Theater. Für die Schauspieler ist es auch eine Auseinandersetzung mit Klischees

Es geht um die großartigen Emotionen, die dem eigenen Leben einen oft grotesken Glanz verleihen

VON BARBARA KERNECK

Die Schneeflocken fallen von weither auf die Bühne des Fliegenden Theaters in Kreuzberg, sie werden aus Russland hergeweht und entpuppen sich als Papierschnitzel. Trotzdem tauen sie später in diesem Stück auf und werden zu Wasser, ja zur essbaren Suppe.

Russland und Schnee – einschließlich des mitspielenden Regisseurs Alexander Schulz bringen hier vier DarstellerInnen das Publikum immer wieder zum Lachen mit allerhand Russlandklischees. Sie spielen auf deutsch und sind in Deutschland beheimatete Kinder russischer Eltern. Manche von ihnen haben sogar in Russland studiert, wie der Regisseur an der renomierten Russischen Akademie für Theaterkunst Gitis in Moskau. Die SchauspielerInnen (Maria Zharkova, Marina Weiss, Fjodor Olev) sind Profis mit mehrjähriger Theater, Fernseh- und Filmerfahrung. Ihren gemeinsam erarbeiteten, über eineinhalb Stunden langen Theaterabend nach Kurzgeschichten von Anton Tschechow haben sie „Hundeleben“ genannt.

Und sie kämpfen damit. Wogegen, das hat der designierte Intendant der Münchener Kammerspiele, Matthias Lilienthal, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk ausgedrückt: „Die Darstellung von Migranten in deutschen Medien ist eindimensional bis zum Kotzen.“ Lilienthal denkt dabei vor allem an das Fernsehen. In jüngster Zeit sei es zwar ein klein wenig besser geworden, konzediert er, aber bis vor Kurzem seien Migranten in „Tatorten“ nur entweder als Täter oder als Opfer vorgekommen.

„Wenn du als Schauspielerin ein russisches Gesicht und einen noch so leichten russischen Akzent hast, dann steht dir in Deutschland erstmal ein Rollenfach offen: osteuropäische Prostituierte“, sagt Maria Zharkova (33). Sie schaut dabei verzweifelt aus ihren sehr schräg zu den Schläfen abfallenden Augen. Seit dem 13. Lebensjahr in Erlangen aufgewachsen, spricht sie einen ganz leichten bairischen Akzent. Dank ihres Gesichtes, meint sie, werde der aber oft anders interpretiert.

„Deutsch-Stiefmuttersprache?“ hat die kleine Truppe ihr Projekt auch genannt. Vom Bezirksamt Kreuzberg haben sie 4.135 Euro Förderung bekommen. Das reicht kaum für vier Schauspielgagen, dazu Requisiten, Beleuchter, die Bühnen- und Kostümbildnerin sowie den Komponisten (alle russischstämmig). Man muss schon ganz schön verzweifelt sein, ein hohe Mission verspüren oder beides, um dennoch so zu arbeiten. Tatsächlich geht es nicht nur darum, dem deutschen Publikum zu vermitteln, was man künstlerisch so alles drauf hat – Akzent hin oder her. Man will auch Verständnis für die russische Mentalität erwecken.

So wird die kleine Bühne des Fliegenden Theaters zum intimen Guckkasten auf den Dachboden der russische Seele. Da steht eine große Truhe, die manchmal auch als Tür zu anderen Räumen dient, manchmal als Badewanne. In ihr verschwindet zum Beispiel der Liebhaber der „Choristin“ (wunderbar zickig Marina Weiss), als sich dessen Ehefrau nähert. Die verdächtigt die Choristin, ihren Mann finanziell auszunehmen, bis diese ihr – nachdem beide miteinander gerauft und getrunken haben – ihre letzten Habseligkeiten aushändigt. In Wirklichkeit ist die Choristin selbst die Ausgenommene, doch fühlt sie sich als Heldin einer grenzenlosen Liebe.

„Dass viele Tschechow-Gestalten ihre Selbsterniedrigung auskosten, spielt man in Deutschland oft als peinlich herunter“, meint Alexander Schulz und fügt hinzu: „Hier hat man sich zwar schon von den edlen, erhabenen Tschechow-Gestalten auf dem Theater entfernt. Bei Frank Castorf dürfen sogar die ‚Drei Schwestern‘ raufen und spucken. Doch die Triebkräfte für Handlungen wie unbändige Liebe und unbändige Wut, dringen nicht bis zum Publikum durch.“Schulz hat seine SchauspielerInnen angehalten, in die eigene Vergangenheit hinabzusteigen und jene großartigen Emotionen wieder zu erwecken, die dem eigenen Leben im russischen Bewusstsein einen oft grotesken Glanz verleihen. Sie können das.

Wenn dann die Emotionen verflogen sind, klagen fast alle dargestellten Figuren über ihr „Hundeleben“. Besonders aber der alte Kutscher der Rahmenhandlung, dem gerade ein Sohn gestorben ist. Aber für ihn haben die anderen keine Gefühle mehr übrig.

„Was für ein Hundeleben!“, das sei in Russland schließlich eine so geläufige Klage wie hier die über das Mistwetter, sagt Maria Zharkova: „Wer sich zum Hundeleben bekennt, wertet sich dadurch nicht etwa sozial ab sondern blickt ironisch auf das Dasein. Dabei geht’s ihm dann schon wieder besser.“

■ Fliegendes Theater, Urbanstr. 100, 10967 Berlin, „Hundeleben“, 19. + 21. Dezember, 20 Uhr