Geräusche aus den Neunzigern

DISKURSPOP I Vor 20 Jahren ebnete Blumfelds Album „L’etat et moi“ einer ganzen Generation deutschsprachiger Bands den Weg. Nun wird das Jubiläum mit einer Reunion-Tour gefeiert: Gelegenheit zur Entmystifizierung

Soll es nur darum gehen, anderen älteren Herrschaften eine Revue mit zwangsläufig nostalgischen Zügen zu bieten?

VON NILS SCHUHMACHER

1992, kurz nach dem Erscheinen von Blumfelds erster Platte „Ich-Maschine“, textete ein gewisser Tom Liwa in einem Lied seiner Band Flowerpornoes: „He Alter, hättste nicht gedacht – dieses Bild in der Zeitung, wo gibt’s denn so was. Fünf Jahre nach mir und drei Jahre nach Blumfeld kaufen sie alles ein, was deutsch singt und laut genug lügen kann. Und viele von denen sind besser, als wir es je waren“. Mit diesem ironischen Hinweis auf das doppelte Bessersein der anderen ist das Dilemma all der klugen, kleinen, schroffen und aufregend neuen Bands beschrieben, die Thomas Groß (ebenfalls 1992) in der taz zur „Hamburger Schule“ vereint hat – und ihrer Vorgänger sowieso.

Das letztendlich Tragische ist ja: Genau genommen ging es ihnen mehrheitlich gerade nicht als Erstes um musikalische Virtuosität, um Pop und einen über ihn generierten Erfolg. Es ging vor allem darum, ein mal mehr, mal weniger politisch bestimmtes Unbehagen mit dem Land in dessen eigener, eckiger Sprache zum Ausdruck zu bringen.

Blumfelds zweite Platte, die 1994 erschienene „L’etat et moi“, von deren 20. Jahrestag die jetzige Reunion der Band handeln soll, lässt sich so vielleicht auch als das Abschlussdokument dieses Großversuchs verstehen. Beide Veröffentlichungen fordern in ihrer Zeitlichkeit dazu heraus, die Frage zu stellen, in welchem Spannungsfeld sie entstanden sind: Auf der einen Seite Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Wiedervereinigung und abgefuckte Subkulturen wie Punk und Hardcore, deren subversiver Glanz nicht mehr aufzupolieren war? Auf der anderen Seite kulturlinke Interventionen wie die Wohlfahrtsausschüsse, Poststrukturalismus, die Verteidigung letzter Refugien und Hip-Hop als neues popkulturelles Ding?

Kleine Schritte

Irgendein solches Gemisch muss es jedenfalls gewesen sein, das aus der verträumten Bad Salzuflener Oberschüler-Lyrik der Bienenjäger mitsamt ihrer recht konventionellen Vertonung etwas Neues formte. Jochen Distelmeyers Texte verzahnten Persönliches und Politisches bis zur Unkenntlichkeit, gaben sich sowohl akademisch als auch persönlich-verwundet, verbanden Collagetechniken mit Lyrik – und machten ein Referenzsystem auf, in dem es zum Beispiel von Beckenbauer zu Lydia Lunch, von zwischenmenschlichen Friktionen zu politischen Interventionen immer nur ein kleiner Schritt war. Was natürlich eine gewisse Hoffnung aufkommen ließ.

Dass es allerdings auch kein unendlich weiter Weg zurück sein muss, hat Distelmeyer anlässlich der Auflösung der Band 2007 mehr als nur angedeutet, als er mitteilte: „Ein Kreis schließt sich.“ So gesehen dokumentieren die vier Platten nach „L’etat et moi“ – die immerhin wohl auch die absatzmäßig erfolgreicheren waren – den sukzessiven Zerfall des Gegenentwurfs. Vor Gebrochenheit und Schroffheit traten Lyrik und Poesie, Naturbilder begannen zu wuchern, während Blumfeld den realen sozialen Verwerfungen nurmehr eine Form von „Angst“ entgegenbrachten, die nicht mehr unbedingt auf eigene Involviertheit schließen ließ.

Was dabei allerdings oft übersehen wird: Zum Ersten waren viele dieser Motive auch bereits auf den ersten Platten angelegt, zum Zweiten hatte sich die ursprüngliche Sprengkraft der Band eben auch aus einer gesellschaftlichen und, wenn man so will, szenischen Dynamik ergeben, die es zum Ende der 1990er-Jahre kaum mehr gab. Und danach erst recht nicht mehr.

So gut wie das Umfeld

Dies als Erstes Blumfeld vorzuwerfen, ihre musikalische und textliche Entwicklung in die Nähe von Bands wie der Münchener Freiheit zu rücken, das mag einen mehr oder weniger stark als kritischen oder originellen Geist ausweisen.

Tatsächlich aber handelt es sich um grobe Vereinfachungen. Jede Protestband ist eben immer so gut wie ihr protestierendes Umfeld. Während die einen in der Versenkung verschwanden, diffundierte die große deutsche Protestband Blumfeld also mit den anderen – der Kreis schließt sich – in die bürgerlichen Feuilletons. Gering geschätzt werden sollte ihr Wirken aber auch hier nicht. Dass es überhaupt ein intellektuelles Popformat gab, mit dem sich der Kulturbetrieb schmücken konnte und wollte, weist ja immerhin auf eines hin: Von einem vollständigen Scheitern der Kritik lässt sich nicht sprechen.

Es darf trotzdem, sieben Jahre nach Blumfeld und 20 Jahre nach „L’etat et moi“, gefragt werden, warum sich der Kreis jetzt plötzlich wieder öffnet. Um deutlich zu machen, dass eine mal so wichtige Platte auch Antworten auf heutige Fragen geben kann? Oder einfach so?

Entmystifizierung

Die erste Möglichkeit lässt sich kaum in Betracht ziehen. Sie würde alles über den Haufen werfen, was Distelmeyer an Selbstreflexion in den Diskurs über diese Band und Pop im Allgemeinen hineingegeben hat.

Die zweite Möglichkeit mag man nicht in Betracht ziehen. Soll es einfach nur darum gehen, anderen älteren Herrschaften eine Revue mit zwangsläufig nostalgischen Zügen zu bieten? Darum, dem Solowerk jene Aufmerksamkeit zu verschaffen, die nach Blumfeld eher ausblieb? Was auch immer: Es wäre zumindest auch eine großräumige Entmystifizierung dieser nie um eine Erklärung verlegenen und stets etwas „besseren“ Band. Ein Geräusch aus den 90ern, auf einem Familientreffen.

■ Fr, 12. 9., 21 Uhr, Markthalle (ausverkauft); So, 14. 9., 20 Uhr, Große Freiheit 36