ZWISCHEN DEN RILLEN
: Weimarer Punk-Republik

The World/Inferno Friendship Society: „This Packed Funeral“ (Alternative Tentacles/Cargo)

Ein Plädoyer fürs Weitermachen, selbst unter widrigsten Bedingungen

„It was a bit too late to die young, girl“, singt Jack Terricloth im Refrain von „So Long Saving Grace“ über Grace Talicious, ehemalige Sängerin der Punkband The Paranoid Style. Die 55-Jährige war im Oktober 2013 von einem Bus in New York erfasst worden und kurz darauf ihren Verletzungen erlegen.

„This Packed Funeral“, das neue Album des Bandkollektivs The World/Inferno Friendship Society, ist ein Konzeptalbum über Leben, Altern und Sterben in der Popkultur geworden, eine Hommage an die fiktive Grace Talicious, mit Songs aus den Perspektiven ihrer Trauergäste und Coverversionen ihrer Band The Paranoid Style. Trotz aller Fiktion: Die in den Texten angesprochenen Themen beschäftigen die Band The World/Inferno Friendship Society immer wieder. Wie steht es um das Älterwerden in der Popkultur? Das würdevolle Altern als Mitglied einer Punkband? Und um das Bewahren von Freiheit und jugendlicher Radikalität?

Seit 20 Jahren sind The World/Inferno Friendship Society mit ihrem einzigartigen ästhetischen Konzept unterwegs, das sich der Vereinnahmung durch die Hochkultur entzieht und bei Alternative Tentacles, dem Label des früheren Dead-Kennedys-Sängers Jello Biafra, Unterschlupf gefunden hat. Sie bringen Punks zum Walzertanzen, klären bei ihren Auftritten über das prekäre Leben als Musiker ebenso wie über die Verfolgung jüdischer Künstler während des Nationalsozialismus auf.

Die Band hat ihren Sound und ihre literarischen Songtexte stets verfeinert. Da finden sich Spuren von Punk, Klezmer, Cabaret und Soul, Blasmusik, Ska, Jazz und Brecht/Weill, die völlig selbstverständlich nebeneinander laufen und einen Hybrid ergeben, der zusammengehalten wird vom einzigen konstanten Bandmitglied Jack Terricloth. Der Sänger will The World/Inferno Friendship Society eher als eine Gang verstanden wissen, ein offenes Konzept, an dem schon Musiker von den Dresden Dolls oder den Dexys Midnight Runners beteiligt waren. Entstanden in New York, hervorgegangen aus der unterbewerteten Post-Hardcore-Band Sticks & Stones, sind The World/Inferno Friendship Society der Inbegriff einer politischen Punkband: ein Konglomerat aus diversen Stilen und Einflüssen, das Ergebnis einer Suche nach Gleichgesinnten in der Kulturgeschichte, nach Außenseitern, die ihre Radikalität der Karriere vorgezogen haben, nach Käuzen und Sonderlingen, und solchen, die politisch ausgegrenzt wurden. So finden sich in ihrem Werk Songs über afroamerikanische Kommunisten („Paul Robeson“) ebenso wie über Anarchisten („Only Anarchists Are Pretty“), das Judentum („Jerusalem Boys“), Brecht’sches Theater („Ich erinnere mich an die Weimarer Republik“) oder antisemitische Ausgrenzungen („Fiend in Wien“).

Im Konzeptalbum „Addicted to Bad Ideas. Peter Lorre’s Twentieth Century“ (2007) über das Leben des Schauspielers Peter Lorre fand das Konzept dieser völlig aus der Zeit gefallenen Band bisher ihren besten Ausdruck: eine Hommage an den ungarischen Künstler, der unter tragischen Umständen völlig verarmt starb. Das Cover des Albums zitiert Fritz Langs Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931, in dem Lorre die Hauptrolle spielte.

Die Weimarer Republik ist neben Punk, Altern und Außenseitertum ein weiterer roter Faden, der sich durch das Oeuvre der Band zieht: die kulturelle Blüte dieser Jahre wie auch der am Horizont aufziehende Faschismus, dem sie mit aller textlicher Militanz begegnen. Ihr fünftes Album „This Packed Funeral“, die unzähligen Singles, Mini- und Live-Alben nicht mitgezählt, fügt dem Bandkosmos neue Facetten hinzu und bindet ihn gleichzeitig an die eigene Geschichte zurück. Es ist Ausblick, Innehalten und Manifest in einem: ein Plädoyer fürs Weitermachen selbst unter widrigsten Bedingungen und ein Appell, das Autonome Jugendzentrum und den Anarchismus, die radikale Geste und die Revolte stets dem behaglichen Leben in der Hochkultur vorzuziehen. JONAS ENGELMANN