Künstler, hört die Signale!

KONGRESS „Artist Organisations International“ im Berliner HAU demonstrierte einen tief greifenden Rollenwechsel der Kunst

L’art pour l’art ist out. Endlich etwas Konkretes tun! Das ist jetzt die Devise. Rasant politisiert sich die Kunstwelt

VON INGO AREND

„Was tun?“ Einen gewissen Humor kann man „Chto Delat“ nicht absprechen. Ausgerechnet den Titel von Wladimir Iljitsch Lenins berüchtigter Schrift von 1902 wählten 2003, also 101 Jahre später russische Künstler, Kritiker und Philosophen für eine Plattform, mit der sie militante Theorie, künstlerische Arbeit und politischen Aktivismus neu verbinden wollten.

Vom Perestroika-Diskurs bis zum Videofilm „Russian Woods“ stellte das Kollektiv allerhand Ästhetisches auf die Beine. Wie politisch es aber auch agieren kann, bewies es vergangenen Sommer. Sein Boykott der „Manifesta“ in Wladimir Putins Knüppel-Demokratur brachte die europäische Wanderbiennale in St. Petersburg fast zum Scheitern.

Das Fragezeichen, das „Chto delat?“ noch hinter seinen Namen setzte, haben andere Gruppen längst abgelegt. L’art pour l’art ist out. Endlich etwas Konkretes tun! Das ist jetzt die Devise. Wie rasant sich die globale Kunstwelt derzeit politisiert, ließ sich vergangenes Wochenende im Berliner Hebbel-Theater beobachten.

Kaum ein Weltproblem blieb ausgespart beim Zusammentreffen von zwanzig Künstler-Initiativen, die sich zum großen Ratschlag versammelt hatten: Vom Kampf gegen die Diktatur auf den Philippinen über den Einsatz gegen Gen-Food in Lateinamerika bis zum Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union reichte die Bandbreite der Anliegen.

Viele der Aktionen, die auf dem Kongress „Artist Organisations International“ vorgestellt wurden, ließen sich problemlos unter dem Stichwort art activism abtun. Was sicher mit den Kuratoren der Veranstaltung zu tun hatte. Joanna Warsza und Florian Malzacher hatten schon den Braintrust hinter Artur Zmijewskis problematischer Berlin-Biennale 2012 gebildet.

Ästhetische Aspekte stehen bei diesem Genre nicht zwingend an erster Stelle. Wenn man von Beispielen wie der Initiative „Schoon genoeg!“ absieht. Um der vergessenen Kunst in den sozialen Bewegungen zu ihrem Recht zu verhelfen, organisiert sie schon mal Ausstellungen mit den Arbeitern von Reinigungsfirmen der holländischen Staatsbahn.

Derlei Vorbehalte ändern aber nichts daran, dass die Konferenz samt der von ihr propagierten Kunst einen tief greifenden Rollenwandel der Kunst anzeigt, der frappierend an den Ruf vom „Ende der Bescheidenheit“ erinnert, mit dem Heinrich Böll bei der Gründung des Verbandes deutscher Schriftsteller 1969 die „Einigkeit der Einzelgänger“ beschworen hatte.

Die russische Kuratorin Ekaterina Degot und die griechische Performerin Margarita Tsomou, Herausgeberin des Missy Magazine, brachten ihn auf den Punkt, als sie konstatierten, dass die Künstler nicht länger als Rollenmodell der neoliberalen Ökonomie dienen wollten – als prototypischer, flexibler Unternehmer seiner selbst. Stattdessen suchten sie nach alternativen Modellen, mit denen sie „an einer anderen Ordnung der Welt“ arbeiten könnten – kollektive Modelle eben.

„Ich erschaffe, denke und ich rede!“ Asger Jorns kämpferisches Credo auf der „Ersten Weltkonferenz der freien Künstler“ 1956 im italienischen Alba, an das der dritte Konferenzinitiator Jonas Staal, bildender Politkünstler aus den Niederlanden, zum Auftakt des dreitägigen Diskussionsmarathons erinnerte, würden viele Künstler und Initiativen heute sofort wieder unterschreiben. Bei der Frage, ob sie dafür einen globalen Dachverband brauchen – eben jene Internationale der Künstler-Organisationen, die die Konferenz zum Titel erhob, schieden sich dann aber doch die Meinungen.

Zu unterschiedlich sind die Bedürfnisse. In Azawad versucht die Künstlervereinigung „3xa“ mit rudimentärer Kunsterziehung ein Land aus dem 15. Jahrhundert in die Gegenwart zu führen. „Wir sind schon froh, hier jeden Tag zu überleben“, erklärten der Maler Mazou Ibrahim Touré und der Schriftsteller Moussa Ag Assarid ihren beeindruckten KollegInnen die Lage im Norden Malis, den Tuareg-Rebellen zum unabhängigen Staat ausgerufen haben.

Dagegen wirkt das virtuose Spiel mit kulturellen Codes und populären Images, mit dem das Berliner „Zentrum für politische Schönheit“ die Berliner Republik an der Nase ihrer moralischen Defizite in Sachen Flüchtlingshilfe herumführt, fast wie eine postmoderne Frivolität.

Zu groß dürften bei einer Künstler-Internationale auch die politischen Differenzen sein. Nicht alle fühlten sich wohl bei der martialischen „Not in our name“-Tirade, mit der Staal, der Spiritus Rector der Internationale, dem Kongress in seiner Eröffnungsrede eine Stoßrichtung gegen den amerikanischen „War on Terror“ verordnen wollte.

Und nicht alle waren bereit, ihre Raison d’être bei dem Versuch über Bord zu kippen, politisch wirksamer zu werden. „Wir schwächen die Kunst, wenn wir sie zur NGO verwandeln“, hielt die deutsche Dramaturgin Maria Magdalena Ludewig dem britischen Kunstaktivisten John Jordan vom „Laboratory of Insurrectionary Imagination (labofii)“ vor, der gestanden hatte, „nicht im Atelier bleiben und Schönheit machen“ zu können, „während die Welt immer hässlicher“ werde.

So interessant die präsentierten Aktionen, so spannend die Grundsatzdiskussionen waren: Es wirkte dennoch seltsam widersinnig, eine künstlerische Bewegung nicht basisdemokratisch, sondern mittels eines kuratierten Kunstevents aus der Taufe zu heben; eines Events mit bezahlten Rednern, das der Hauptstadtkulturfonds finanzierte und 33 Euro Eintritt kostete. Die heftige Kritik Berliner Künstler verhinderte vorerst, dass die Internationale an Ort und Stelle ausgerufen wurde. Zumindest, was ihre Selbstorganisation anbetrifft, werden sich die Künstler also weiter Lenins Frage stellen müssen: „Was tun?“ – jenseits von Mailinglisten?