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: Objekt Houellebecq

„Die Entführung des Michel Houellebecq“/„The Kidnapping of Michel Houellebecq“ (F 2014, Regie: Guillaume Nicloux)

Der Film wirkt wie eine Selbstinszenierung von fremder Hand als Nichtinszenierung

In einem Park, auf einer Bank, in Paris, Zigarette in der Hand, das blühende Leben: Michel Houellebecq. Halt nein, das blühende Leben, das ist der Baum im Hintergrund mit seinen frühlingszartrosa Blüten. Houellebecq dagegen: grau im Gesicht, struppige Haare, keine Zähne im oberen Kiefer, ein Bild von einem Greis, und das mit Mitte fünfzig. Er ist der Held dieses Films, der keinen Helden hat und ein wirklich merkwürdiger Film ist.

Erst sind sie, der Film und sein Nichtheld, ein bisschen unterwegs. Der Autor im Gespräch mit Bekannten, Bewunderern. Gehst du in die Kirche? Ja, aber nur zu Beerdigungen, zu Hochzeiten weniger. Houellebecq mag Mozart gar nicht, Beethoven ist eine andere Sache, aber vielleicht ist Beethoven nur Mozart, langsamer gespielt? Wenig Gutes auch über Le Corbusier. Der Schriftsteller denkt über den Umbau der Wohnung nach, er erzählt vom Literaturpreis des Tierschutzverbands „30 millions d’amis“, in dessen Jury er sitzt. So mäandert es vor sich hin, der Film unternimmt keine großen Anstalten zu nachdrücklicher Fiktionalisierung, ohne in einem strengen Sinn besonders dokumentarisch zu wirken.

Im Hintergrund jedoch geschieht etwas. Drei Männer, ein Dicker, ein Muskulöser und ein Normaler, planen da was: die Entführung des Michel Houellebecq. Er wird in eine grüne Kiste gesteckt, sie haben die Luftlöcher nicht vergessen, es geht raus aufs Land, ein älteres Ehepaar ist da auch. Man kettet Houellebecq etwas amateurhaft ans Bett. Es kommt zu Gesprächen, über dies und das, seine Literatur, Lovecraft, den einer der Entführer immer zu Warcraft entstellt, sie sprechen über den Unterschied zwischen dem Schreiben von Romanen und Gedichten, sie gucken auf Video Krav-Maga-Kämpfe, Houellebecq bekommt ein paar Kampfsportlektionen. Beim Abendessen, da sind alle schon ziemlich betrunken und tragen seltsame Masken, geht es um Auschwitz.

Pausenlos raucht Houellebecq, die Zigarette hält er zwischen den vorderen Gliedern von Mittel- und Ringfinger seltsam geziert. Er hat einen Mund, mit dem kann man nicht pfeifen. „Sie nörgeln viel“, hält ihm einer der drei Männer vor. Später wird ihm Fatima, eine freundliche junge Frau aus der Nachbarschaft, zugeführt. So geht das Leben als Entführter dahin. Warum die Männer den Schriftsteller entführt haben: unklar. Von wem sie Lösegeld wollen: weiß der Teufel. François Hollande, wie es einmal heißt, wohl eher nicht.

Und was will der Film? Keine Ahnung. Man kann nur ungefähr sagen, was er ist: eine Reductio ad Absurdum der öffentlichen Figur Houellebecq. In seinem Roman „Karte und Gebiet“ hat der Autor gezeigt, dass er das selbst kann – der Protagonist namens Houellebecq wird darin brutal ermordet –, hier lässt er es mit sich machen. Das Ganze wurzelt in einem realen Verschwinden Houellebecqs im Jahr 2011. Er wurde gesucht und hat nie verraten, wo er in der Zeit war. Hier stellt er sich der Fantasie des Autors und Regisseurs Guillaume Nicloux zur Verfügung – aber so, als hätte er mit der Sache eigentlich nichts zu tun.

Michel Houellebecq ist in diesem Film er selbst und ein anderer, er ist zugleich souverän und erbärmlich, liefert sich aus und bleibt ganz er selbst, ein Objekt, das Subjekt ist, ein Subjekt, dem es nichts ausmacht, als Objekt durch die Gegend und durch den Film geschoben zu werden. Eine Selbstinszenierung von fremder Hand als Nichtinszenierung, entlang einer Nulllinie von Plot, Figurenpsychologie und Bedeutung. Natürlich schon irgendwie meta. Aber so komisch und deadpan dabei, dass das nicht stört.

EKKEHARD KNÖRER

■ Die DVD ist in England erschienen und als Import ab rund 20 Euro erhältlich