Das „Kongo-Tribunal“: Für nichts gestorben

Als Regisseur bin ich derzeit im Kongo unterwegs und bereite das Projekt „Das Kongo-Tribunal“ vor. Davon werde ich regelmäßig in der taz berichten.

Milo Rau (2.v.r) mit kongolesischen Soldaten. Bild: International Institute of Political Murder

Im Jahr 1967, in seinem Eröffnungsstatement zum Vietnam-Tribunal, welches als „Russel-Tribunal“ in die Geschichte einging, sagte Jean-Paul Sartre: „Die Legalität dieses Tribunals besteht in seiner absoluten Machtlosigkeit und zugleich seiner Universalität.“ Das Gleiche trifft auf das Kongo-Tribunal zu, das wir in diesen Mai im Ostkongo durchführen werden.

Die öffentlichen Hearings werden sich über mehrere Tage hinziehen, kongolesische Regierungs- und Oppositionspolitiker, Militärs und Milizionäre, UNO- und Weltbankfunktionäre, große Minenbaufirmen und einfache kongolesische Bürger werden vor dem Tribunal aussagen.

Das Urteil der Jury wird keinerlei Rechtskraft haben. Was dabei aber – so hoffe ich – entstehen wird, ist ein Porträt einer entfesselten Weltwirtschaft, in der der an Coltan, Zinn und Kupfer reiche Ostkongo mit ins Zentrum der globalen Verteilungskämpfe gerückt ist.

Wer den ostkongolesischen Mineralienhandel kontrolliert, beherrscht den IT- und Kommunikationstechnologiemarkt des 21. Jahrhunderts. Kombiniert mit ethnischen Konflikten und einer korrupten Regierung sind dies auch Gründe, warum der bald 20 Jahre herrschende Krieg in der Region der Großen Seen fortdauert und bisher über drei Millionen Opfer gefordert hat.

Der Theaterautor Milo Rau ist 1977 in Bern geboren. Er inszenierte unter anderem „Die letzten Tage der Ceausescus“, „Hate Radio“ über den Genozid in Ruanda und „Die Moskauer Prozesse“ zur Gerichtsverhandlung gegen Pussy Riot.

Während früheren Recherchen wurden ich und mein Kamerateam Zeugen von Massakern, Deportationen, extremster Armut: dem unfassbaren Elend einer Bevölkerung, die in einer gewaltigen Experimentalsituation dem unterworfen ist, was Naomi Klein „Schockstrategie“ nennt.

Denn die internationalen Minenbaufirmen, die im Ostkongo Gebiete von der Größe deutscher Bundesländer kontrollieren, profitieren von der völligen Abwesenheit staatlicher Strukturen. Wer sollte sich ihren Umsiedlungsaktionen im allgemeinen Chaos schon in den Weg stellen?

„Peace keeping“

Die UNO-Truppen beschäftigen sich oft damit, ehemalige Milizionäre in publicitywirksamen Aktionen in die Armee zu integrieren. „Peace keeping“ nennt sich das. Es verunmöglicht jede Form von Gerechtigkeit.

Ein typisches Beispiel dafür ist Colonel Venant Bisogo. Als ich vor wenigen Tagen in das 2.000 Kilometer von Goma und Bukavu entfernte Kinshasa kam, hörte ich, dass er auch in der Stadt war. Bisogo war 1997 als ruandischer Kommandeur in den Ostkongo einmarschiert, hatte dann mit Kabila zusammen Mobutu gestürzt.

Enttäuscht von Kabilas Sohn – der seinem Vater nach dessen Ermordung 2001 auf den Thron folgte –, hatte Bisogo sich einer Revolte im Ostkongo angeschlossen. Schließlich war er, wie die meisten höheren Offiziere seiner Einheit, in die kongolesische Armee (re)integriert worden.

Stützpunkt im Wald

Bisogo empfing mich in einem deprimierenden Stützpunkt mitten im Wald, etwa 40 Kilometer vor den Toren Kinshasas. Wie sich schnell herausstellte, war er in den Westen strafversetzt worden: Der Colonel hatte einmal mehr mit einem Aufstand geliebäugelt, des Weiteren schien er in einen Rohstoffdeal mit einem ruandischen Konsortium verwickelt.

Es war schlicht zu gefährlich für die Machthaber in Kinshasa, ihn im Osten stationiert zu lassen. Denn wieder einmal wankt dieser Tage das Regime der Familie Kabila.

Die Bevölkerung der Hauptstadt ist gegen den Versuch der Regierung, die Präsidentschaft Kabilas anhand eines Tricks bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verlängern, auf die Straße gegangen. Über 40 Menschen sind nach Angaben von Menschenrechtsgruppen letzte Woche gestorben, erschossen von Polizei, Armee und Präsidentengarde.

Subventionierte Pseudodemokratie

Einmal mehr dreht sich nun der Reigen der international supervisionierten kongolesischen Pseudodemokratie: Ich nehme an endlosen, übelst langweiligen Meetings der Opposition über mögliche Konsequenzen teil (die darin gipfeln, dass die Revision des Wahlgesetzes verlangt wird).

Die UNO ihrerseits beruft die übliche Pressekonferenz ein, auf der die Vorgänge „aufs Schärfste“ verurteilt werden. Colonel Bisogo seinerseits machte es sich bei unsere Treffen noch einfacher: Er behauptet einfach, die Armee sei nicht beteiligt gewesen an dem Massaker. Eine angesichts der Filmaufnahmen so absurde Behauptung, dass der Colonel selbst ein wenig darüber lachen muss.

„Diese Menschen sind für nichts gestorben“, sagt mir mein Freund, der Choreograf Faustin Linyekula, als wir nach Kinshasa zurückkehren. Wie alle drei Millionen Toten des Kongokriegs.

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