Norwegische Bildstörung

OPERNPREMIERE Ole Anders Tandberg zeigt an der Deutschen Oper seine Osloer Inszenierung der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri Schostakowitsch. Zum Glück kennt Donald Runnicles das Stück besser

Nicht einmal Tandberg ist ausgebuht worden. Berliner können sehr herzlich sein

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Evelyn Herlitzius war glücklich. Sie lachte und schien es kaum fassen zu können, dass es ihr auch jetzt gelungen war, diese russische Mörderin so zu singen, wie man sie singen muss. Hart und schroff, manchmal aber auch voller Sehnsucht. „Alles paart sich“, klagt sie am Ende des ersten Aktes, „aber wer liebt mich, bis ich vor Erschöpfung nicht mehr kann?“

Sie hat diese Rolle auch schon an der Mailänder Scala gespielt, sie gehört zu den großen Wagner-Sängerinnen der Gegenwart und wurde mit Preisen überhäuft. Stürmischer Applaus am Ende einer Aufführung kann sie wohl kaum noch überraschen. Am Sonntagabend jedoch war es anders. Evelyn Herlitzius war so dankbar für den Applaus, weil sie ihn nicht erwarten konnte. Diese Premiere war schwierig, denn an der Deutschen Oper werden zwei Stücke gleichzeitig aufgeführt, die absolut nichts miteinander zu tun haben.

Krieg den unfähigen Männern

Wirklich mitgespielt hat Evelyn Herlitzius nur in dem einen, nämlich der „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri Schostakowitsch, aufgeführt von Donald Runnicles, dem Orchester und dem Chor der Deutschen Oper, der britischen Bass-Legende Sir John Tomlinson und dem jungen russischen Tenor Maxim Aksenov. Mit ihnen zusammen konnte diese große Sängerin ihre Rolle bis zum Rand ausfüllen: Sie singt eine reiche Frau, die ihre Lust ausleben will. Dafür geht sie über Leichen.

Natürlich bekommt sie es im zweiten und dritten Akt mit der Angst zu tun vor ihren Toten, so wie es Shakespeares Lady Macbeth vor dem Blut graust, das sich nicht von ihren Händen abwaschen lässt. Aber schuldig fühlen sich beide nicht, weder die schottische Clanchefin noch die russische Kaufmannsgattin. Sie führen Krieg gegen ihre Gesellschaft und ihre unfähigen Männer, die sich dann als grapschende Haustyrannen aufführen, wie in der Erzählung von Nikolai Leskow, der literarischen Vorlage von Schostakowitschs Oper.

Donald Runnicles war einer der Ersten, der dieses Stück im Westen dirigiert hat. Er liebt es über alles und lässt es in der Deutschen Oper in voller Größe strahlen. Ihn hat der Applaus am Ende nicht überrascht. Er hat ein im Wortsinn revolutionäres Stück Musik erklingen lassen. Revolutionär, weil es die dramatischen Regeln der Oper durch die narrativen Schnitttechniken des Films ersetzt. Drastisch illustriert laufen vor unseren Ohren Szenen ab, die keine Gefühle ausloten, sondern Aktionen und Situationen zeigen, in denen Personen auf groteske, komische Art scheitern.

Es darf ständig gelacht werden in dieser Musik, die in ihrer wilden Dissonanz, ihren Märschen, Walzern und Zirkusnummern sehr wohl Sozialkritik ist, aber satirische, nicht moralische. Nur war das Ganze ja eine Koproduktion mit der Oper von Oslo, wo der Regisseur Ole Anders Tandberg seine Version schon im September vorgestellt hatte.

Herlitzius schwante nichts Gutes. Was sie dort gesehen hatte, konnte im verwöhnten Berlin eigentlich nicht gefallen. Hier hatte vor etwa 10 Jahren an der komischen Oper Hans Neuenfels das Stück inszeniert, der dafür sogleich zum „Regisseur des Jahres“ gewählt wurde.

Daran durfte man jetzt nicht denken, und weil sie selbst, Runnicles und die anderen so gut waren, hat man es ihnen verziehen. Die Wahrheit allerdings ist furchtbar. Ausgerechnet aus diesem radikal modernen Meisterwerk hat Tandberg versucht, ein uraltes, vor Gefühl triefendes Rührstück um ein armes Mädchen zu machen, das sich nach ein bisschen Liebe sehnt, aber in der bösen, bösen Welt der Gewalt untergeht.

Weil Tandberg durchaus etwas vom Theater versteht, ist ihm das leider gelungen. Wir sind in Norwegen. Auf einer einsamen Insel steht ein Haus. Die Männer halten immerzu Fische in der Hand. Sie reiben sich auch den Schwanz mit Fischen. Das arme Mädchen. Manchmal sieht es Gespenster, dann kommen ganz viele Mädchen auf die Bühne. Sie tragen eine Uniform und halten Blechblasinstrumente in der Hand. Die können sie zwar nicht spielen, aber das macht nichts, weil dann Runnicles unten seine Blechbläser von der Leine lässt. Das klingt ganz furchtbar laut und schrecklich.

Besonders schrill wird der Lärm, wenn das Mädchen wirklich gevögelt wird. Ohrenbetäubend. Nur wird das Mädchen auch davon nicht glücklich. Es wird sogar immer trauriger und hat jetzt auch noch ein schlechtes Gewissen wegen des Rattengifts, das es dem Schwiegervater unter die Pilze gemischt hat. Aber der war doch wirklich so böse! Und so weiter.

Glücklich war am Ende nur Evelyn Herlitzius. Glücklich, weil dieses Elendstheater vorbei war, und glücklich darüber, dass das Publikum nicht schon längst aus dem Saal geflohen war. Erstaunlich ist das in der Tat. Nicht einmal Tandberg ist ausgebuht worden. Berliner können sehr herzlich sein.

■ Nächste Aufführungen: 29., 31. 1.; 5., 14. 2. 2015