Die Ratlosigkeit des Zottelwesens

THEATER Zwischen „Hobbit“ und „Game of Thrones“: Antú Romero Nunes inszeniert den „Ring des Nibelungen“ am Thalia Theater Hamburg. Ein kurzweiliger Abend, doch dem Stück fehlt die Haltung

Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ ohne Musik? Kommt selten vor, an Opernhäusern nicht, in Bayreuth sowieso nicht. Und doch funktioniert der Stoff als Erzählung, das zeigt der „Ring“, der frisch auf dem Spielplan des Thalia Theaters Hamburg steht. Streicht man wie Regisseur Antú Romero Nunes die Musik und nimmt das Libretto als Textvorlage für ein Dutzend Theaterschauspieler, dann bleibt eine Menschheits-, Mittelalter- und Götter-Erzählung. Ohne die auratische Kraft der Musik, die Wotans, Brünhildes, Siegfrieds Gefühlswelten verdichtet. Und mit genügend urmenschlichem Wahnsinn, den Nunes mit Ironie anpackt und als Hardcore-Fantasy-Geschichte präsentiert, die recht nah an „Hobbit“ oder „Game of Thrones“ heranrückt.

Sexistische Urmenschen

Wie eine Mini-Serie ist dieser „Ring des Nibelungen“ tatsächlich auch entstanden. Im Oktober hatte der erste Teil Premiere, seit Mitte Januar läuft der zweite. Nun zeigt man auch eine komplette Langversion. Siebeneinhalb Stunden inklusive drei Pausen, in denen Nibelungen-Proviant-Tüten verkauft werden können oder das Café ein Nibelungen-Menü anbietet.

Wer angesichts des Stoffs aber edle Musik oder den Umgang mit deutsch-nationalen Mythen erwartet, muss sich auf ganz andere Fährten begeben: in eine Welt, in der alle Figuren gewalttätig, machtgierig, sexistisch nach archaischen Mustern handeln. Ins Neandertalerformat packt Nunes die germanischen Helden, lange bleiben sie in der Inszenierung als Zottelwesen auf ihre Triebe reduziert. In einer düsteren Höhle spielen sie pantomimisch die Evolutionsgeschichte nach, richten sich auf, lernen sprechen, schließen Verträge. Was alles sehr überdeutlich an Kubricks „2011 – Odyssee im Weltraum“ erinnert und ziemlich dick aufgetragen ist. Selbst mit den zivilisatorischen Fortschritten bleiben sie sandbeschmierte Urmenschen mit nackten Oberkörpern, Haar-Extensions, rauem Umgang. Giert Wotan nach dem Ring an Alberichs Finger, beißt er ihm den Finger ab. Zeigt sich Loge ungehorsam, wird er ins Feuer gesetzt. Aber doch bleiben alle eher lieb und nett, mehr komisch als abgründig.

Die Gier als Triebfeder

Am tumbsten und begriffsstutzigsten agiert Siegfried, der auserkorene Held, der weder die Götterordnung rettet noch mit Frauen umzugehen weiß. Mit dem Schauspieler Philipp Hochmair ist diese Rolle besetzt, einer, der auf der Bühne sofort seine ganz eigene Show daraus macht, mit diebischer Freude den Wilden spielt. In der Sterbeszene lässt er so skurril das Kunstblut fließen, dass sich über dieses kindliche Verhalten noch am ehesten ein Denkraum darüber öffnet, welche beständige Gier eigentlich alle anderen antreibt.

Der nackte Wilde bleibt er auch im „Siegfried“-Teil am Wormser Hof, wo Gunther und Hagen in schicker brutaler Coolness um einiges distinguierter, aber um etliches kälter und berechnender auftreten. In diesem optisch klaren Zuschreibungstableau weiß man immer bestens, wer gerade wer ist und wer was verbricht. Auch wenn so manches Detail untergeht, die Verkettung der Handlungen und Entscheidungen gar nicht zum Tragen kommt.

Erst zum Ende hin macht Nunes seine eigentliche Botschaft klar. Alle sitzen wieder im Dreck wie im Anfangsbild, jetzt zwar bekleidet, aber doch nicht zivilisierter – nicht klüger als zuvor, so die Message. Das kann Nunes: Er hat ein gutes Händchen für Choreografie und Mitteleinsatz, erschafft kurzweilige Bilder, mal eben mit der Nebelmaschine und einfachsten Mitteln hingezaubert. Unterhaltsam ist dieses ganze Aufpeppen mit ironischen Einfällen, aber auf Dauer wirkt das wie ein Ablenkungsmanöver, das viel verschenkt an weiterreichender Haltung zu dem Stoff. Der Geist der Inszenierung hat auch hier seine Schnittmenge mit erfolgreichen Fantasy-Verfilmungen: eine Sehnsucht der Popkultur nach der Erzählung alter Mythen. Doch groß ins Nachdenken ist man über den Stoff nicht gekommen.

SIMONE KAEMPF