„Mir geht es um das dinghaft Digitale“

AUSSTELLUNG Vom Digitalaktivisten zum Wandteppichweber: In der DAM Gallery stellt derzeit der Künstler, Kurator und Theoretiker Patrick Lichty seine Werke vor. Ein Gespräch über digitale Codes und physische Dinge

■ wurde 1962 geboren. 1983, sagt er, lernte er als Student das Internet kennen. Seit 1989 arbeitet er mit technologischer Medienkunst. Derzeit lehrt er digitale Studiopraxis an der Peck School of Arts in Milwaukee, Wisconsin, wo er auch lebt.

INTERVIEW TILMAN BAUMGÄRTEL

Der US-amerikanische Künstler Patrick Lichty hat sich durch seine Arbeiten mit digitalen Medien einen Namen gemacht: als Teil der amerikanische Künstlergruppe RT Mark und als Gestalter der digitalen Animationsfilme deren Nachfolgeorganisation Yes Men gehörte er zu den Vertretern einer Netzkunst mit aktivistischen Zügen. Seit Anfang der 90er Jahre hat er mit digitalen Medien gearbeitet und Werke mit Video, für das Internet und für Second Life geschaffen.

Bei seiner ersten Einzelausstellung „Artifacts“ in der Berliner DAM Galerie zeigt der Künstler, der an der University of Wisconsin in Milwaukee unterrichtet und zuletzt ein Buch mit kunsttheoretischen Essays veröffentlicht hat, jedoch keine Medienarbeiten, sondern Wandteppiche. Wandteppiche? Im Gespräch erklärt Lichty seine Hinwendung zu traditionellen künstlerischen Techniken.

taz: Sie sind für Ihre Medienarbeiten bekannt, und Sie haben mit 3-D-Animationen, im Internet und in Second Life gearbeitet. Aber bei Ihrer Ausstellung in Berlin zeigen Sie Gobelins. Warum sind Sie zu diesem traditionellen Medium zurückgekehrt?

Patrick Lichty: Ich sitze jetzt seit fast 40 Jahren vor dem Monitor, und ich war in meinem Leben schon mehrfach blind. Mein künstlerisches Motto ist: „Die Mediatisierung ist die Wirklichkeit.“ Ich habe künstliche Linsen in meinen Augen, und ich weiß nicht, ob ich die Welt so sehe, wie sie wirklich ist. Ich habe das Gefühl, ich hätte so einen Cyborg-Blick, wie ein Alien. Das Gefühl habe ich schon mein ganzes Leben.

Einerseits habe ich daher versucht, alternative Wirklichkeiten durch Medien zu schaffen, oder mithilfe von Medien dazu beigetragen, die Welt so zu sehen, wie sie ist. Das gilt zum Beispiel für meine Arbeit mit den Yes Men: Ich helfe Mike und Andy dabei, die alternative Realität für diese fiktiven Firmen zu erschaffen. Andererseits interessiere ich mich dafür, was der Künstler und Theoretiker Marcos Novak „Evergence“ nennt: etwas wirklich zu machen, das es im Physischen noch nie gegeben hat. Das ist fast so wie in William Gibsons Roman „Idoru“, wo das lebendige Idol aus dem Nano-Replikator hüpft und „Hallo“ sagt. Mich interessiert das dinghafte Digita- le …

Das dinghafte Digitale?

Na ja, die Idee, dass man einen Code nimmt und ihn in 3-D-Objekte verwandelt, also zum Beispiel, indem man Objekte aus Second Life zu Artefakten macht. Die Ausstellung hier in Berlin soll das gigantische Werk dem Publikum zugänglich machen, das ich im Bereich des Digitalen als kultureller Forschungsreisender geschaffen habe und über das die Kunstwelt nicht viel weiß. Ich habe jede Menge Drucke und Videos gemacht, die in Ausstellungen gezeigt werden können. Aber viele meiner Arbeiten für das Web verweigern sich vollkommen und total jeder Art von Ausstellbarkeit.

Wie haben Sie die Motive für die Wandteppiche ausgewählt, die hier in Berlin zu sehen sind?

Diese Bilder sind aus bestimmten Schlüsselmomenten meiner Arbeit der vergangenen zehn Jahre. Ich habe diese Dateien zu einer Weberei in South Carolina geschickt, und die haben daraus Wandteppiche mit meinen Bildern gemacht. Um 2005 hatte ich so eine Phase, in der man ein, zwei Jahre nichts von mir gehört hat, in der ich mich mit Material aussöhnen wollte. In dieser Zeit habe ich fast keine Medienkunst gemacht, sondern mich nur mit physischem Material beschäftigt. Ich habe mit Eisenguss und mit Weben begonnen. Ich habe mich seit 2004 mit dem Jacquard-Webstuhl und mit 3-D-Druck beschäftigt, aber ich zeige das erst jetzt. Das ist auch mein künstlerischer Kommentar zur „Post Internet Art“ der Gegenwart.

Das Weben gehörte zu den ersten Kunsthandwerken, die mechanisiert wurden. Und die mechanischen Webstühle wurden mit frühen Formen der Lochkarten gesteuert, ähnlich denen, mit denen zu Beginn der Computerisierung Daten gespeichert wurden.

Ist das der Grund, warum Sie Ihre digitalen Bilder in gewobene Wandteppiche übertragen haben?

Ich beziehe mich auf die alte, große Kunst des Gobelins. Es ist eine Art, das Digitale in einer sehr bestimmten Art von Materialität auszudrücken, die ich interessant finde und die auch Teil unseres kulturellen Erbes ist. Es ist einfach eine wunderschöne Art, um digitales Material zu präsentieren. Und sie sind leicht auszustellen.

Als Nächstes fangen Sie wohl wieder damit an, selbst am Webstuhl zu arbeiten statt diese Wandteppiche produzieren zu lassen …

„Wir sind daraus gemacht“ (er deutet auf seinen Arm) „und nicht daraus“ (deutet auf einen Computer)

Als Kind habe ich das gemacht. Meine Mutter war Künstlerin, und die hat mich an den Webstuhl gesetzt. Ich mache das nicht, weil es gerade hip ist oder billig …

oder weil es in einer Galerie gezeigt werden kann …

Nein. Es hat bestimmte Momente in meinen Leben gegeben, die mich dazu gebracht haben. Es war kein krasser Schachzug Richtung Galerie.

In den 90er Jahren gab es diese Vorstellung, dass wir uns irgendwie in den „Cyberspace“ hochladen würden, so wie in den „Matrix“-Filmen. Jetzt scheint aber genau das Gegenteil zu passieren: Das Virtuelle scheint sich im physischen Raum auszubreiten, zum Beispiel mit der Hilfe von 3-D-Druckern.

Wir haben eine explosionsartige Entwicklung, die dahin geht, dass digitale Inhalte wieder physisch werden. Das ganze Thema der Re-Materialisierung von rein medialen zu physischen Objekten ist für mich von zunehmender Bedeutung. Wir sind daraus gemacht (er deutet auf seinen Arm) und nicht daraus (deutet auf einen Computer). Was Hans Moravec geschrieben hat, ist noch nicht wahr geworden.

■ „Patrick Lichty: Artifacts“, bis zum 21. März in der DAM Galerie, Neue Jakobstr. 6 in Mitte