Zum Glück ist auf einem Konzert der Körper mit dabei

POPAKADEMIE Deerhoof ist so eine Band, die auch gut um die Ecke spielen kann – im ausverkauften Lido begeisterte sie mit Komplexität

Man kann jetzt nicht behaupten, dass Greg Saunier ein flottes Deutsch spricht. Die Sprache ist eher eine Herausforderung für den Schlagzeuger von Deerhoof, die er aber gerne annahm. Und so bangte man mit ihm bei seinen Plaudereien am Montagabend im ausverkauften Lido wie bei einem Pep Guardiola, als er über die aparte Lichtregie auf der Bühne stammelte oder über sein Wohlbefinden in Berlin, dabei zwischendurch, wenn es an den deutschen Worten fehlte, auch mal ins Englische switchend. Aber er hat es versucht. Er hat sich angestrengt und ein bisserl auch sein Publikum mit diesen Plaudereien.

So aber funktionieren Deerhoof.

Deerhoof, das ist die Band des allgemeinen Vertrauens, wenn es auch mal etwas komplexer sein darf im Indie-Pop. Und das schon seit einem beträchtlichen Zeitraum. Als die Band, zuerst als Duo, von Greg Saunier in San Francisco mitbegründet wurde im März 1994, lebte sogar ein Kurt Cobain noch wenigsten ein paar Tage lang, das erste Album „The Man, the King, the Girl“ veröffentlichten Deerhoof 1997, ihr aktuelles „La Isla Bonita“ kam Ende des vergangenen Jahres auf den Markt. Und auf diesen mittlerweile 13 Alben der Band ist so ziemlich alles zu hören, zu dem man noch Pop sagen kann. Und manchmal selbst das nicht mehr.

So freuten sich Deerhoof bei ihren „Songs“ auch schon an improvisatorischen Geröllstudien, die selbst die Berliner Echtzeitmusikszene blass vor Neid um die Nase machen müssten. Sie verschnitten einen verschärften Feedbackgitarrenrock mit zuckersüßen Popmelodien oder ließen, nur ein Stück weiter, mit herbeigeschwindelten Folk-Assoziationen einen verwunschenen Feenwald wuchern, in dem dann, hörte man da genauer hinein, mindestens irgendwelche Einhörner rund ums Lagerfeuer ihre Madrigale sangen.

Von dem Feenwald war dann beim Konzert im Lido allerdings nichts zu hören, und auch die Zuckerstückchen Pop wurden mehr als hart bandagierter Rock ausgespielt. Selbst der auf Platte manchmal arg hoch angesetzte und kieksige Gesang von Satomi Matsuzaki (die auch den Bass spielt) klang ein Spur dunkler, kompakter. Was man aber vielleicht an den sonst üblichen Deerhoof-Zusatzstoffen vermisste, wurde schlicht mit der Energie wettgemacht, mit der das Quartett seine Kompositionen mit vollem Einsatz um die Ecke trieb.

So richtig geradeaus geht bei Deerhoof jedenfalls wenig, die sich deswegen noch lange nicht verzetteln. Das hat nichts mit einem musikalischen ADHS-Syndrom zu tun. Da wurde nicht einfach nur gezappelphilippt und unentschlossen geschaukelt, bis das Geschirr endlich zu Bruch oder ein Stück zu seinem Ende gekommen war. Solchen Albernheiten stand schlicht eine wie in den allerbesten Hardcore-Zeiten gepflegte Formstrenge entgegen.

Jedenfalls konnte man sich schön vorstellen, welchen theoretischen Spaß ein Lehrgang in einer Popakademie hätte, wenn er mal im Fachbereich Musikdramaturgie so ein Live-Stücklein von Deerhoof mit seinen abrupten Stimmungswechseln, den geschickten Verschleppungen und raffinierten Beschleunigungen analysieren dürfte.

Die Musik von Deerhoof hat was vom Tempo eines Comicstrips. Und hörte sich dabei eben nicht nur gut ausgedacht an, sondern knallte im Lido schon mit ordentlichem Schmackes auf den Körper, den man bei Konzerten auch immer mit dabeihat.

Und so waren Deerhoof neben der grauen Theorie mit dem ganzen Stop and Go in ihrer Musik, den harten Schnitten und den Breaks auch ein ganz praktischer Spaß.

Das rockte doch ganz ordentlich. THOMAS MAUCH