Stille auf der Leinwand

STUMMFILMSTAR Wenn das psychische Drama den gesamten Körper erfasst: Eine Retrospektive im Arsenal erinnert an den russischen Schauspieler und Regisseur Ivan Mosjoukine

VON CAROLIN WEIDNER

Die Arbeit des Stummfilmschauspielers ist eine Arbeit des Körpers. Er muss zeigen, was nicht gesagt, nicht gehört werden kann. Im Falle von Ivan Mosjoukine darf bezüglich dieser Ausdrucksarbeit von wahrer Meisterschaft gesprochen werden. Sich dieser auszusetzen (und zu beobachten, welchen Effekt Mosjoukines sehr helle Augen haben), das ermöglicht das Arsenal vom 1. bis zum 10. März, wenn es sieben Filme mit dem russischen Stummfilmstar zeigt. Dabei wird zwar nur eine Schaffensperiode von knapp zehn Jahren überspannt – diese war für das europäische Kino jedoch von umso größerer Bedeutung. Sind die frühesten Werke der Retrospektive, „Pikowaja Dama/ Queen of Spades“ (1916) und „Otets Sergii/ Father Sergius“ (1918), beide unter der Regie von Jakow Protasanow, noch in Russland entstanden, ändert sich das Produktionsland in den 20er Jahren, als beide nach Frankreich gingen.

Keine ungewöhnliche Bewegung – das Zeughauskino hatte im November bereits eine sehenswerte Filmschau mit dem Titel „Zwischen Berlin & Paris“ im Programm, die genau jenes Exilieren russischer Filmschaffender nachzeichnete und ihre in Berliner und Pariser Studios produzierten Filme präsentierte. Auch Filme mit Ivan Mosjoukine waren vertreten, wobei besonders die von Alexander Wolkoff in Paris kreierte Serie „La maison du mystère“ (1923) in Erinnerung geblieben ist. Mosjoukine mimt hier in zehn Teilen den verliebten Industriellen Julien Villandrit, der aufgrund einer Intrige ins Abseits gerät. Die kleine Retrospektiv im Arsenal nun nimmt sich nicht nur Mosjoukines Schauspiel, sondern auch seiner Arbeit als Regisseur an („L’enfant du carnaval“ von 1921 und „Le brasier ardent“ von 1923; Letzterer soll Jean Renoir angeblich erst dazu ermuntert haben, Filme zu machen).

Einer der Größten

Von einer Entdeckung“ kann dabei allerdings keine Rede sein: Ivan Mosjoukine war einer der größten Stars der Stummfilmzeit. Dennoch war er bei seinem Tod 1939, nur fünfzigjährig, verarmt und vergessen. Alkohol und Tuberkulose sollen die Gründe für das frühe Ableben gewesen sein. In den späten 20er Jahren versuchte Mosjoukine sich Richtung Hollywood zu bewegen, erfolglos. Zurück in Europa, mit Aufkommen des Tonfilms übertönte der starke russische Akzent sein versiertes Spiel, und um ihn in Nebenrollen zu besetzen, war sein Profil zu markant. Sein Karriereende fiel mit dem des Stummfilms zusammen.

Mosjoukine selbst scheint an eine derartige Entwicklung, zumindest in den späten 10er Jahren, nicht geglaubt zu haben. Vielmehr war er überzeugt, dass sich der Stummfilm sogar zu noch größerer Kunstfertigkeit entwickeln ließe. 1918 notiert er: „Das primäre technische Prinzip des Kinos ist die absolute Stille auf der Leinwand, sein ganzer Urgrund beruht auf der inneren Ausdrucksfähigkeit, auf der hypnotischen Beeinflussung des Partners, auf den Pausen, den Unterbrechungen und psychologischen Nuancen. Die Stille fordert den Regisseur zu einer Strenge heraus, wie sie auch der klassische Bildhauer, der ein Ornament schafft, an den Tag legt. In naher Zukunft werden Drehbücher ohne jeden Zwischentext geschrieben werden, nur der Körper, das Gesicht und die Augen werden das psychische Drama ausdrücken.“

Dieser Art Spiel zuzusehen ist ein großer Genuss. Und sein Verlust kann durchaus betrauert werden. Umso bewegender (und theatralischer) nehmen sich dafür die vielen Szenen aus, in denen das „psychische Drama“ den gesamten Körper des Schauspielers erfasst. In „Kean“ (1923) von Alexander Wolkoff stirbt Ivan Mosjoukine in der Rolle des Bühnendarstellers Edmond Kean einen Tod, der sich über fast zwanzig Minuten erstreckt.

Nicht zu sprechen von den Momenten, in denen sich Blicke vor lauter Attraktion ineinander verhaken: Wenn sich Monsieur Adrien (Mosjoukine) in Marcel L’Herbiers „Feu Mathias Pascal“ (1925) in die schöne Adrienne verliebt, sich beide wie zufällig auf einer Treppe begegnen und auch beieinander bleiben, als gäbe es einen zerbrechlichen Gegenstand zwischen ihrer Stirn, der nicht hinunterfallen dürfe, dann spricht nichts weiter als Magie.

■ „Ivan Mosjoukine Superstar“: Programm unter www.arsenal-berlin.de