Großstadtballade

LIEDER Alexia Peniguel will nicht in der Berliner Expat-Ecke stehen. Mit „Of Birds“ hat sie ihr neues Album als A Seated Craft vorgelegt

VON THOMAS WINKLER

Ein Taxifahrer ruft seinem Fahrgast etwas auf Türkisch hinterher. Eine Gruppe spanischer Teenager spaziert plaudernd vorbei. Ein amerikanisches Pärchen, offensichtlich auf dem Weg in ein Frühstückscafé, diskutiert die Vorzüge der dortigen Speisekarte. Ein Mann, mittleres Alter, kurze Dreadlocks, redet ein auf zwei andere Männer, mittleres Alter, keine Dreadlocks. Er spricht Englisch mit starkem deutschen Akzent.

Auf der Kottbusser Brücke ist Kreuzberg an diesem frühen, sehr sonnigen Nachmittag mal wieder ganz bei sich, und Alexia Peniguel schlürft in der Ankerklause einen Ingwertee. „Das war das Erste, was ich getan habe, als ich hierher kam“, sagt sie, „ich habe Deutsch gelernt. Ich wollte nicht in einer Ecke landen.“

Nicht in der Ecke, wo die Expats und Hipster als kreative Boheme beieinander stehen. Nicht bei denen, die nach Berlin gekommen sind, weil es hier billig und irgendwie cool ist. Die dann in Hostels jobben oder hinter der Bar stehen, nebenbei irgendwas mit Musik machen und hoffen entdeckt zu werden. So eine wollte Peniguel nicht werden, als sie 2004 aus Australien nach Berlin kam. Tatsächlich wollte sie nicht einmal in Berlin bleiben. „Die Stadt hat mir gar nicht gefallen“, erinnert sie sich.

Heute spricht sie nahezu perfektes Deutsch, arbeitet in einer Sprachschule und macht nicht nur irgendwas mit Musik, sondern hat eben unter dem Namen A Seated Craft ihr zweites Album in Eigenregie herausgebracht. Die Songs auf „Of Birds“ sind meist getragene, nicht selten melancholische, immer wieder berührende Großstadtballaden. Songs, die beim ersten Hören womöglich etwas gefällig klingen, aber mit der Zeit eine erstaunliche poetische Tiefe entfalten. Songs, die nicht eben selten gehörte Versatzstücke aus Folk, Americana und Cocktail-Jazz zu einem fast schon schmerzhaft geschmackvollen und überraschend wenig verstaubten Klangteppich zusammenfügen.

Das Nest ist gebaut

Lieder zu schreiben, sagt Peniguel, sei für sie „fast wie mit einer Kamera ein Bild, einen Eindruck einzufangen“. In ihren Songs geht es um den Nachbarn, der immer wieder besoffen aus seinem Parterrefenster in den Vorgarten fällt, es geht um Telefongespräche mit weit entfernten Freunden und darum, wie schwer es ist, Nähe zuzulassen. Vor allem geht es aber, da verspricht der Albumtitel nicht zu viel, immer wieder um Vögel. Enten und Erpel, Gänse und Elstern geistern tatsächlich oder wenigstens als Metaphern durch die Lieder. Wenn man einen Drachen, der ja schließlich auch fliegen kann, gelten lässt, kommen in neun von dreizehn Stücken von „Of Birds“ Vögel vor.

Vor allem die Laubenvögel haben es Peniguel angetan. Bowerbirds heißen die auf Englisch, gehören zu den Sperlingen, sind eng verwandt mit den Paradiesvögeln und bauen kunstvolle Lauben, die als Balzplatz dienen. Im „Bowerbird Bacchanal“ singt Peniguel nun mit klarer, selbstbewusster Stimme von dem beruhigenden Moment, in dem sich die losen Enden eines Lebens zusammenfügen lassen. „Auf meinem ersten Album, da ging es vor allem um Sehnsucht, um Heim- und Fernweh, darum, wie es ist, ein neues Zuhause zu finden“, beschreibt sie ihr 2011 erschienenes Debüt „The Savage and the Small“. „Aber jetzt geht es darum, dass das Nest gebaut ist, dass ich zu Hause bin.“

Die Metapher findet ihre Entsprechung im Leben der 38-Jährigen. Als sie nach einem kulturwissenschaftlichen Studium und mit einer Ausbildung in Jazz-Improvisation aus Melbourne nach Berlin kam, wollte sie eigentlich nur ihre Schwester besuchen, die damals als Tänzerin an der Komischen Oper arbeitete. Zwei Wochen später war die Schwester unterwegs zu einem neuen Engagement und Peniguel plötzlich allein in der fremden Stadt. „Obwohl ich Berlin zuerst unschön fand, hatte ich doch das Gefühl, es könnte mir hier gefallen“, sagt sie. Eine Erwartung, die sich bewahrheitet hat. „Andere Städte wollen dir zeigen, wie toll sie sind. Berlin macht das nicht, Berlin umarmt dich nicht, aber Berlin schickt dich auch nicht wieder weg. Das hat mich angezogen. Mittlerweile fühle ich mich hier gewollt, aber das hat Jahre gedauert.“

Im Gegensatz zu anderen hat sich Peniguel auch nie auf die mittlerweile gut funktionierenden Expat-Netzwerke gestützt. Die in Neukölln existierende australische Community, die dem Vernehmen nach sehr lebendige Connection Melbourne-Berlin und jene Kneipen, die von Neuseeländern betrieben werden, kennt auch sie weitgehend nur vom Hörensagen. „Meine Freunde kommen eher aus Frankreich, Spanien, Italien oder der Türkei. Das finde ich spannender. Erst in den letzten zwei Jahren habe ich den einen oder anderen Musiker aus Australien oder Neuseeland kennengelernt.“

Die Musiker, mit denen sie für „Of Birds“ zusammengearbeitet hat und mit denen sie als A Seated Craft in wechselnden Besetzungen und verschiedenen Größen bis zum Quartett auftritt, sind denn auch eine multinationale Gruppe. Einzelne Teile des Albums wurden gar – das Internet macht’s möglich – in Kanada, Melbourne, Südafrika und Schottland aufgenommen oder abgemischt, ohne dass Peniguel überhaupt dorthin musste.

Geld vom Schwarm

Finanziert wurde die Platte durch Crowdfunding. 5.600 Euro konnte Peniguel einsammeln. Wer bereit war, mehr als den Grundbetrag zu zahlen, konnte eine von der Künstlerin in Handarbeit gefertigte CD, Gesangsunterricht oder einen Auftritt im eigenen Wohnzimmer bekommen. Für eine Crowdfunderin schrieb Peniguel sogar extra einen eigenen Song über den Anime-Charakter Sun Wukong.

„Das war eine interessante Erfahrung, über etwas zu schreiben, was man nicht selber erfahren oder gefühlt hat“, sagt Alexia Peniguel und blickt über ihren Tee hinweg auf den Landwehrkanal. Im Wasser treiben in aller Ruhe ein paar Enten und freuen sich auf den Frühling.

■ A Seated Craft: „Of Birds“ (Revolver Distribution Services/Rough Trade)

■ Wohnzimmer-Konzert am 21. März (Anmeldung und Info über www.aseatedcraft.com oder helgedenker@gmail.com