Der Moloch und das Theater

URAUFFÜHRUNG Am Schauspiel Leipzig inszeniert Michael Talke Ulrike Syhas „Report“ gegen den Text

Ganze Textpassagen werden von den Figuren im Film-Noir-Tonfall aus dem Off gesprochen

Die Stadt, oder genauer der Moloch, lebt. Überall wuchern Pflanzen, verstopfen Autos die Straßen, mischen sich Kulturen, separieren sich Nationalitäten und inmitten dieses allumfassenden Chaos soll der Einzelne auch noch leben. Das ist der Ausgangspunkt von Ulrike Syhas neuem Theaterstück „Report“, ein Auftragswerk für das Schauspiel Leipzig, welches dort am Samstag Premiere hatte. .

Um diese Kakofonie des Menschlichen einzufangen, nähert sich Syhas dem Moloch in einer Art Krimi Noir. Bei Grabungsarbeiten in einem Bürogebäude wird eine Karte gefunden, die für den Archäologen Ben Martin (Hartmut Neuber) von äußerster Bedeutung wäre. Als er aber am nächsten Morgen bei seiner Exchefin Laure Dubois (Annett Sawallisch) vorstellig wird, ist die Karte verschwunden und dafür die Leiche einer jungen Asiatin aufgetaucht. Ben macht sich also zusammen mit dem Taxifahrer Diego (Jonas Fürstenau) auf den Weg durch eine Welt aus Korruption, Fremdheiten und Menschen, um die Geheimnisse um die Karte, den Mord und den mysteriösen VS Khan zu lüften

All das Überbordende der Megacity steckt Syha dabei in Erzähltexte, die diese Metropole des Südens in einer postkolonialen Perspektive voll moderner Exotik zugleich erstrahlen und verglimmen lassen – mit dem weißen, gebildeten Martin als Protagonisten, der in seinem Blick auf dieses urbane Konglomerat ebenso ignorant und unsympathisch daherkommt, wie eine Figur Houellebecqs (nur ohne den Sex). Martin lebt von und für die Vergangenheit in einer Welt, die das Heute nur als Vorspiel für eine strahlende Zukunft versteht, weshalb er selbst eigentlich nicht mehr das Haus verlässt. Sein Sidekick und Resonanzraum ist der multireligöse („Man weiß ja nie“) Taxifahrer, der den Archäologen durch dieses Kairo, Kalkutta oder Kapstadt leitet und so ein Babylon 2.0 Panorama in den Köpfen der Zuschauer entstehen lässt.

Regisseur Michael Talke traut diesem dunklen, atmosphärischen Text mit seinen bunten Einsprengseln aber nicht über den Weg. Er lässt seine sieben Schauspieler permanent gegen ihn anspielen. Barbara Steiner hat dafür eine multifunktionale Bühne aus weißen Pappkartons eingerichtet. Zunächst aufgerichtet als große Wand, fliegen sie schon bald durch die Luft, werden zerfetzt, geöffnet, geworfen oder dienen als Projektionsfläche für beliebig wirkende Videozusammenschnitte von Kai Schadeberg und Gabriel Arnold. Es gibt kein Recht auf Ordnung.

Wie um die Problematik des atmosphärischen Krimis auf dem Theater herauszustellen, werden ganze Textpassagen von Figuren aus dem Off im Film-Noir-Tonfall gesprochen, zu dem ein Spieler, untermalt von dumpf-spannungsgeladener Thrillermusik, aber nur die Lippen bewegt, während der jeweilige Partner im unverstärkten Bühnenmodus agiert. Dazu gibt es unverhohlenen Slapstick. Die Kostüme, der über ein Dutzend handelnden Figuren sind Abziehbilder. Wenn etwa Julia Berke als Beamtin in Highheels mit einem Stapel Papier und mit zwei roten Luftballons als Brusterweiterung über die Bühne stolziert, ist das Werfen des Ersteren und das Platzen der Letzteren nur eine Frage der Zeit. Der Sprung in die Surrealität, die solche Szenarien produzieren könnten, gelingt nicht, zu grobschlächtig ist der Humor, der sich in der Reproduktion von Klischees erschöpft: Die Cops sind hart, mysteriöse Figuren wandeln in Mantel und Sonnenbrille und die Hauptfigur stolpert unbeholfen aber unbeirrt von einer Situation in die nächste.

Die Schauspieler aktivieren mit ihrem Spiel und den darin aufgegangenen Regieideen vor allem die Lachmuskeln – mit bisweilen einfachsten Mitteln. Handwerklich stimmt dabei alles und besonders das Trio Berke (als Ben Martins Exfrau), Sawallisch und Neuber (sowie das Duo Neuber-Fürstenau) liefert im gegebenen Rahmen eine überzeugende Vorstellung. Sie bedienen gekonnt und mit Gespür für Rhythmus und Tempo das Unterhaltungsbedürfnis. Doch bleibt alles schal und ebenso wie die Auflösung der Wirrungen des Textes ungreifbar und damit unbefriedigend wirkt. Man verlässt das Theater mit dem Gefühl, es seien zu wenige oder gar die falschen Fragen gestellt worden. TORBEN IBS