Jede Astgabel eine Zwille

KUNST Kriegsspielzeug wuchert wie Eiter von der Decke im Kunstraum Kreuzberg: „Boys and Their Toys“

Die weichen Waffen lassen buchstäblich die Luft aus dem Macho-Appeal

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

„This place smells like balls“, stöhnt Michael Keatons Alter Ego Birdman zu Beginn von Alejandro González Iñárritus neuem Film über dessen heruntergekommene Garderobe.

Im Kunstraum Kreuzberg im Bethanien könnte man derzeit ebenfalls meinen, der Geruch männlicher Testikel läge in der Luft. Und dass das sogar im Sinne der Macher der Ausstellung „Boys and Their Toys“ wäre. Denn die soll das Verhältnis beleuchten, das große Jungs zu ihrem Große-Jungens-Spielzeugen haben. Womit hier Waffen, Uniformen, Militaria und coole Gadgets zur Menschheitsvernichtung gemeint sind.

Die Ausstellung widmet sich der Ambivalenz, mit der sich Künstler der Gegenwart zu Krieg, Waffen und deren Ästhetik verhalten. Männliche Künstler, um genau zu sein – unter den sechzehn Teilnehmern der Ausstellung findet sich genau eine Frau: Ursula Böckler, die eine Hälfte des Künstlerduos Graw Böckler.

Deren Arbeit – eins der wenigen Videos in der Ausstellung – gibt den Ton für die ganze Ausstellung vor: Der Krieg ist hier kein lauter Frontalangriff auf die Sinne des Betrachters, sondern erscheint leise, schleichend, aber omnipräsent. Alltagsszenen aus einer Reihe von osteuropäischen Metropolen sind digital so nachbearbeitet worden, dass Mord und Totschlag ständig latent anwesend scheinen, ohne dass jemals so richtig losmassakriert wird. Hier kokelt es hinter den Scheiben einer Hochhausfassade, da ragen menschliche Gliedmaßen aus einem Trümmerhaufen. Ein kleines Mädchen scheint Blutergüsse im Gesicht zu haben, und in einer Häuserruine schlägt plötzlich ein Projektil in die Wand ein.

Zuletzt erscheinen in dem Video selbst so harmlose Objekte wie ein an einen Zaun angeschlossenes Rennrad als düstere Vorboten einer kommenden Apokalypse. Und die Gruppe junger Leute, die da mit großem Hallo ein liegen gebliebenes Auto anschiebt, tut das wahrscheinlich auch nur, um damit gleich in der Fußgängerzone Amok zu fahren. Dunkles Osteuropa!

Friede ist nicht die Abwesenheit von Krieg, lautet ein zu Tode zitierter Satz von Spinoza. Für diese Ausstellung ist der Frieden, in dem wir zu leben meinen, durchzogen von Residuen des Krieges – so wie die Mauern des Bethaniens bei Philip Topolovac’ Installation „Aggregat“ mit schwarzen Geschwulsten aus Kriegsspiel-Plastikbausätzen kontaminiert scheinen, die in einigen Räumen der Ausstellung aus der Decke austreten wie Eiter aus einer verdreckten Wunde.

Unter diesen Kunststoff-Stalagmiten sacken Gummidüsenkampfjets zum Aufblasen des taiwanesischen Künstler Musquiqui Chihying leise in sich zusammen, als wollten sie einen dazu einladen, sich in sie recht gemütlich wie in einen Beanbag zu lümmeln. Die weichen Waffen erinnern nicht nur an Claes Oldenburg, sondern gehören auch zu den Werken in der Ausstellung, die aus dem Macho-Appeal von phallischen Kriegsflugzeugen und Streubomben – in diesem Fall buchstäblich – die Luft rauslassen. Auch die Kriegsschiffe aus Porzellan von Yuval Shaul und die Blauhelm-blaue Friedensdrone der United Nations, die Sven Kalden von der Decke baumeln lässt, unterwandern die Faszination der slicken, metallischen Kriegsmaschinen.

Aber dann gibt es auch die Arbeiten, die davon handeln, wie dünn der Firnis der Zivilisation sein kann, unter dem die nackte Gewalt nur auf eine Gelegenheit wartet, um hervorzubrechen. Ein silbernes Bäumchen von Oliver van den Berg sieht nur auf den ersten Blick aus wie ein Wunderding aus einem Märchen. An den Zweige wachsen bei genauerer Betrachtung keine fantastischen Früchte, sondern Gummibänder mit Lederlaschen, die jede Astgabel zu einer Zwille machen – so wie jenen, die einst die Kreuzberger Autonomen bei Straßenschlachten mit der Polizei in unmittelbarer Nähe des Bethaniens eingesetzt haben.

In der Gesellschaft von Psychopathen

Wie in der Gesellschaft eines Psychopathen, dem jederzeit ohne Anlass die Hand ausrutschen kann, fühlt man sich bei den Werken von Benjamin Althammer. In einem Schrebergarten spritzt der Künstler – von klassischer Musik begleitet – mit einem Wasserschlauch in die Krone eines Obstbaums, bis die Blüten auf den Boden fallen, und das hat etwas obszön Gewalttätiges, auch wenn niemandem ein Leid angetan wird. Dasselbe gilt für seine gedrechselten Stuhlbeine, die – bunt bemalt – plötzlich wie Baseballschläger aussehen. Die riesige Sammlung von Helikoptern des Berliner Künstlers Heinrich Dubel verweist dagegen eher auf das fetischistische Moment, das solche gewaltfaszinierten Jungs-Kulturen eben auch immer haben.

Seit Kunstraum-Leiter Stéphane Bauer und der israelische Künstler Sahar Zukerman die Ausstellung konzipiert haben, ist der Krieg auf sehr reale Weise nach Westeuropa gekommen. Die religiös motivierten Attentate in Paris und Kopenhagen waren freilich keine irgendwie doch ganz formschöne, schicke Jungs-Kriegsspiele mehr wie die, welche die Ausstellung zelebriert. Oder ist das Schreckliche an diesen Attentaten vielleicht gerade, dass sie genau den Bürgerkrieg auf Raten zur Tatsache gemacht haben, den die Arbeiten in der Ausstellung noch ästhetisch sublimieren?

■ „Boys and Their Toys“, Kunstraum Kreuzberg, täglich von 12 bis 19 Uhr, bis 26. April