Ernst und Elend der Kunst

KULT Die Essays des französischen Schriftstellers Pierre Michon

VON TOBIAS SCHWARTZ

Faulkner und Flaubert zusammendenken – wenn man das schafft, hat man eine Ahnung davon, wie das ästhetische Ideal des französischen Schriftstellers Pierre Michon aussehen könnte. Nicht zufällig sind diesen beiden Klassikern die umfangreichsten Essays gewidmet in dem recht schmalen, dafür gedanklich und poetisch überaus dichten Band „Körper des Königs“. Übersetzt von Anne Weber, ist er jetzt in der hehren Bibliothek Suhrkamp erschienen, in der bereits einige Kurzromane und Erzählungen Michons vorliegen.

Vor wenigen Jahren erregte der 1945 geborene und samt Familie in Nantes ansässige Autor bei uns mit seinem lyrisch-malerischen Kurzroman „La Grande Beune“ Aufsehen. Vorher wurde er hier allenfalls als Geheimtipp gehandelt, ähnlich wie übrigens lange Zeit in Frankreich, wo man ihn inzwischen allerdings zu den wichtigsten Gegenwartsautoren zählt. Wie seine großen Heiligen Flaubert und Faulkner, die nicht nur die anagrammatische Namensnähe verbindet, besitzen einige von Michons Werken bereits Kult- und Klassikerstatus – sein faszinierendes Debüt „Leben der kleinen Toten“ etwa, in dem er verschiedene Lebensläufe zu Miniaturporträts komprimiert. Der vermeintlichen Banalität seines Sujets – einfache Leute vom Lande – steht die große, ihren Gegenstand stets sublimierende Kraft seiner Sprache gegenüber. Die französische Provinz wird zu einer Art überhöhtem, gleichzeitig mythischen und metaphysischen Ort, ganz ähnlich wie das (allerdings fiktive) Yoknapatawpha County im US-amerikanischen Bundesstaat Mississippi, das den Schauplatz für so viele Erzählungen und Romane William Faulkners liefert.

Faulkner wird nicht nur von Michon, sondern vielen französischen Autoren rezipiert. Im „Körper des Königs“ ziert nun sein Fotoporträt eine ganze Seite und bildet den Ausgangspunkt für die assoziativen, sich immer im Fluss befindenden Gedankengänge des Essays „Der Elefant“, der auch an den Mississippi führt. Flaubert, einem anderen Elefanten, begegnet Michon in schreibender Kreisbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts, als er gerade den ersten Teil seiner „Madame Bovary“ abschließt. Der Text ist Hommage und Monument, aber auch Anklage und Mahnmahl. Denn Flaubert, heißt es dort, sei „unser Vater im Elend“. Er betrachte die Kunst mit großem Ernst, dieser Ernst aber habe etwas Lächerliches und ziehe einem gleichzeitig das Herz zusammen.

Berührende, kein Pathos scheuende Beobachtungen, die eben die „erhabene und lächerliche Berufung der Kunst“ zusammenführen. So auch sein autobiografischer Essay „Der Himmel ist ein sehr großer Mann“, in dem es um den Tod von Michons Mutter und ein weiteres Mal um die Funktion der Poesie geht, um die Bedeutung der im Anhang abgedruckten Gedichte „Ballade der Gehenkten“ von François Villon und „Der Schlaf des Boas“ von Victor Hugo, um die Nähe von Lyrik und Gebet. Andere Themen des Bandes sind die Schönheit des „Königs“ Samuel Beckett oder der vom Ironiker Michon verursachte amüsante Tod eines Kritikers.

Der titelstiftende „Körper des Königs“ ist für den philosophisch versierten Stilisten übrigens kein einheitlicher. Ganz cartesianisch-dualistisch zerteilt er ihn in einen „ewigen, dynastischen“ und einen „sterblichen, funktionalen“. Auch handelt es sich bei Michons König um keinen einzelnen, weder allein um Beckett noch ausschließlich um Faulkner oder Flaubert, sondern auch um Dante, Gombrowicz, Joyce, Shakespeare und so viele mehr. Es scheint, als sei Michons König nichts anderes als der unendliche Kosmos der Literatur.

Pierre Michon: „Körper des Königs“. Aus dem Französischen von Anne Weber. Suhrkamp, Berlin 2015, 100 S., 17,95 Euro