Von Johnny Cash zum Schweinerock

JUBILÄUM Sein Label Noisolution steht nun seit 20 Jahren für Qualität im Gitarrenrock. Und den Namen des Satans kennt Arne Gesemann auch: Für ihn ist es eben Helene Fischer

„Die Berliner Szene ist schwierig, alle wollen sehr schnell sehr erfolgreich sein“

ARNE GESEMANN, NOISOLUTION-CHEF

VON JENS UTHOFF

Vielleicht vergisst man für eine Weile all die Klischees, die einem in den Kopf kommen könnten, wenn man sich einen im heutigen Berlin tätigen Labelbetreiber vorstellt. Stets auf der Suche nach dem Next Big Thing, in – sagen wir Neuköllner – Cafés sitzend, auf dem iPad touchend über „amazing things“ redend, über jeden Hype Bescheid wissend. Wie gesagt: Alles mal kurz vergessen. Zumindest für die Dauer dieses Artikels.

Denn in dem haben wir es mit Arne Gesemann zu tun. Gesemann ist auch ein Labelbetreiber, aber er hat so gar nichts mit dem sonstigen Treiben in der zum Teil sehr aufgeblasenen Branche zu tun. Der gebürtige Kasseler, Jahrgang 1966, hat seit nun zwei Jahrzehnten ein eigenes Label. Noisolution heißt es, und Gesemann betreibt es mit der Gewissenhaftigkeit und Kontinuität eines Handwerksbetriebs, der bei der Innung ein besonders gutes Zertifikat zu erlangen sucht.

Gäbe es also eine Schallplattenfirma-Innung, so müsste man Noisolution nun für zwanzig Jahre solide Wertarbeit auszeichnen. Denn im Bereich der Rockmusik gibt es in Deutschland wenige Labels, die über einen so langen Zeitraum so viele konstant überdurchschnittliche Alben veröffentlicht haben wie Gesemann mit seinem Ein-Mann-Betrieb (der inzwischen seit eineinhalb Jahren durch eine Bookingagentur gleichen Namens ergänzt wird). Am Samstag feiert das Label im Friedrichshainer Klub Tiefgrund die runden zwei Jahrzehnte, die man nun in Diensten des Rock steht.

Noisolution, 1995 als Sublabel von Vielklang Musikproduktion gegründet, wurde zuerst mit Punk-Legenden wie Steakknife um Sänger Lee Hollis oder Jingo De Lunch in Szenekreisen bekannt – mit der Zeit folgten dann Veröffentlichungen, die sich fast allen denkbaren Spektren des Rock verschrieben: Psychedelic und Stoner, Schweine- und Punkrock, Blues und Indierock.

Kein großes Zugpferd

„Viele Labels haben eine große, erfolgreiche Band und einen Peak“, sagt Gesemann, der in der Küche seiner Büroräume nahe dem Schlesischen Tor sitzt. „So etwas gab es bei mir nie. Ich rede mir immer ein, dass es gut so ist. Denn viele andere Labels sind auch kaputtgegangen, wenn dann dieses eine große Zugpferd wegfiel.“ So steht sein Label bis heute eher für Konstanz und Durchhaltevermögen in Zeiten nicht gerade florierender Tonträgerverkäufe. Etwa 140 Alben haben via Noisolution das Licht der Welt erblickt.

Geht man ganz weit zurück, so beginnt diese Labelgeschichte mit einem Ausflug zum Ostermarkt in Rotenburg an der Fulda. Hier ersteht Gesemann, damals noch keine zehn Jahre alt, eine Johnny-Cash-Kassette – mehr aufgrund des Cowboy-Covers als dass er gewusst hätte, wer oder was Johnny Cash ist. Bereits wenige Jahre später, 1980, hat der nun jugendliche Gesemann ein eigenes Kassettenlabel gegründet. Punk kommt nach Deutschland, selbst nach Kassel, und das Gute daran ist, dass jeder mitmachen darf: „Man muss nichts können, aber man kann trotzdem was machen“, fasst Gesemann heute treffend den Do-it-yourself-Gedanken zusammen. Sein Label hieß Chaos Rrecords. Mit zwei r. Weil es damals dazugehörte, etwas falsch zu schreiben.

Im Jahr 1988 zieht Gesemann von Kassel nach Westberlin. Es ist die Zeit, in der Jingo De Lunch, die Kreuzberger Punkband schlechthin, gerade ihr Debüt veröffentlicht hat. Gesemann wird Fan der Band. Jahre später soll er die Platten Jingo De Lunchs veröffentlichen. Zunächst aber macht er ein Praktikum bei Vielklang Musikproduktion, einem Label, bei dem damals Die Ärzte oder Die Goldenen Zitronen veröffentlichten. Insgesamt 13 Jahre arbeitet er für Vielklang, 1995 gründet er das eigene Sublabel Noisolution. Als Vielklang 2004 pleitegeht, wird Noisolution eigenständig.

In gewisser Weise ist Gesemann dabei old school geblieben, denn er legt den Bands, die er betreut, immer noch nahe, sich Schritt für Schritt etwas aufzubauen – und nicht auf den schnellen Erfolg zu schielen. Heißt: erst mal viel live spielen, Leute für sich begeistern, an sich arbeiten. Gerade in Berlin sei dies nicht mehr so selbstverständlich: „Die Berliner Szene ist schwierig“, sagt er, „alle wollen sehr schnell sehr erfolgreich sein.“ Gesemann nimmt so immer auch eine Beraterfunktion für die Bands ein – allerdings ohne den Musikern ihre Spinnereien auszutreiben: „Es ist total wichtig, dass Bands irre sind“, sagt er.

Er selbst macht eher den Eindruck eines straighten, zuverlässigen Arbeiters – oft sei er als Erster im Büro, das er sich mit anderen Labels teilt; es komme so gut wie nie vor, dass Rechnungen länger liegen blieben. Wonach er die Bands aussucht, die auf seinem Label landen, wird auch recht schnell deutlich: „Es gibt für mich nur zwei Kriterien, nach denen man Musik messen kann“, sagt Gesemann, „zum einen wären das Zahlen, Erfolge und Chartplatzierungen, zum anderen die subjektive Beurteilung.“ Anhand des Beispiels Helene Fischer versucht er aufzuzeigen, dass Verkaufszahlen – in dieser Hinsicht sei sie ja wohl die deutsche Nummer eins – nicht immer der entscheidende Parameter sein sollten. Das subjektive Empfinden nämlich sage ihm etwas anderes: „Für mich ist Helene Fischer halt Satan.“

Um große Namen oder um Starproduktion geht es hier, in Gesemanns Labelbüro, wo Joe Strummer auf einem Poster an der Küchenwand lehnt, nicht in erster Linie. Die Alben auf seinem Label verkaufen sich in der Regel zwischen ein- und fünftausend Mal. Wenn es passieren sollte, dass eine Band groß wird, würde er sich sicherlich nicht wehren – entscheidend für einen Vertrag bei Noisolution aber sei immer, ob er die Band selbst mag und ob die Kommunikation mit der Band stimme.

Dass Gesemann dabei nicht festgefahren ist oder gar alles verdammt, was nach Kommerz riecht, stellt sich auch heraus, wenn man ihn nach seiner aktuellen Berliner Lieblingsband fragt: „Ich glaube, am spannendsten finde ich Seeed.“ Auf dem eigenen Label aber findet man doch eher die manuell erstellte Gitarrenmusik – und nur gelegentlich Gruppen Berliner Provenienz. Mit Coogans Bluff spielt aber immerhin eine Band auf dem 20-Jahre-Festival, die zum Teil in Berlin beheimatet ist – eine Combo übrigens, die eine Blues-Jazz-Rock-Melange mit ordentlich Sixties- und Seventies-Einfluss spielt. Äußerst passend also für die Geburtstagsfeier dieses Kreuzberger Labels, dem Trends, Hypes und Moden schon immer irgendwie egal waren.

■ 20 Years of Noisolution, Samstag, 20 Uhr, Tiefgrund, Laskerstr. 5/6, Nähe Ostkreuz, mit Coogans Bluff (Berlin/Rostock), Black Lung (Baltimore), Hodja (Kopenhagen)