Kein Dialog mit Orbáns Kulturmanagern

NATIONALISMUS Bei einem internationalen Theatertreffen in Budapest wurde unter der Überschrift „Nationaltheater in Europa heute“ offen über die ungarische Kulturpolitik diskutiert

Vertreter der freien Szene hatten eine Einladung zu der Diskussion abgelehnt

Wer den Nationalismus nicht hochhält, der darf in Ungarn nicht hoffen, in die Akademie der Künste (MMA) aufgenommen zu werden. Diese Kampfansage des MMA-Direktors György Fekete vor zwei Jahren beschreibt sehr gut, worum es in der ungarischen Kulturszene geht. Staatstragende Kultur mit patriotischem Pathos wird von oben verordnet. Die freie Szene, deren Subventionen dahinschmelzen wie Eislutscher in der Julisonne, droht zu verschwinden. Engagierte Künstler finden kein Engagement mehr und suchen ihr Überleben im Ausland.

Keine günstigen Rahmenbedingungen für ein internationales Theatertreffen in Budapest. Viele Intendanten deutschsprachiger Bühnen wollen nicht nach Ungarn kommen. Matthias Hartmann, der 2014 als Direktor des Wiener Burgtheaters abgesetzt wurde, war so einer. Seine Nachfolgerin Karin Bergmann sieht das anders. Zwar hatte die Einladung im Ensemble Diskussionen ausgelöst, doch sagt sie: „Ich finde es wichtig, mit anderen Theatermachern in Dialog zu treten.“ Auch Joachim Lux vom Hamburger Thalia Theater will den Dialog nicht verweigern. Er kam mit den „Brüdern Karamasow“, inszeniert vom Belgier Luk Perceval, nach Budapest. Aber er bestand darauf, dass das Treffen mit einer offenen Diskussion über die ungarische Kulturpolitik verknüpft werde.

Man einigte sich für die Debatte am vergangenen Montag auf den unverfänglichen Titel „Nationaltheater in Europa heute“ und das Goethe-Institut als „neutralen Boden“. Dessen Direktorin Jutta Gehrig gelang es, Attila Vidnyánszky, den Intendanten des Nationaltheaters Budapest, als Vertreter der ungarischen Kulturszene zu gewinnen. Der sah sich jedoch als Verteidiger der offiziellen Kulturpolitik und als solcher von Feinden umzingelt. Denn das Podium wurde durch den Kulturwissenschaftler Zoltán Imre von der Eötvös-Loránd-Universität ergänzt. Und in letzter Minute kam noch Matthias Langhoff vom Théâtre Vidy in Lausanne dazu. Langhoff, Sohn einer italienischen Jüdin und eines deutschen Kommunisten, aufgewachsen im Schweizer Exil und französischer Staatsbürger mit Theatervergangenheit in der DDR, verkörpert mit seinem Werdegang die Antithese zu Ungarns Nationalismus. Entsprechend provokant kamen seine Wortmeldungen an.

Vidnyánszky auf dem Podium zeigte sich zunehmend genervt und wich konkreten Fragen über das nationalistische Diktat mit Exkursen in die finstere Zeit der kommunistischen Unterdrückung aus. Der 51-Jährige, der sich einen Namen als ideenreicher Experimentalregisseur gemacht hatte, ließ die Gelegenheit ungenutzt, seine eigenen kulturpolitischen Gedanken darzustellen. Vertreter der freien Szene hatten eine Einladung zu der Diskussion mit dem Hinweis abgelehnt, mit Vidnyánszky wollten sie nicht im selben Saal sitzen. Anna Lengyel, die ein kleines Kellertheater betreibt, kann sich diese starre Haltung ihrer Kollegen erklären. Vidnyánszky steht für kulturpolitischen Kahlschlag. Als er seinen international renommierten Vorgänger Róbert Alföldi 2013 ablöste, versprach er, dessen „Entwertung der ewig geglaubten europäischen Werteordnung“ umzukehren und setzte 28 Produktionen ab, die bereits restlos ausverkauft waren.

Die unter der Ägide Vidnyánszky produzierten Stücke seien dagegen so schwach ausgelastet, dass Karten zum Schleuderpreis von 3 Euro im Internet angeboten werden. Wenn es nach Lengyel gegangen wäre, dann hätte weder die Diskussion noch das Theatertreffen stattgefunden: „Die Gagen, die das Ensemble des Burgtheaters und des Thalia Theaters kriegen, die wurden der ungarischen freien Szene weggenommen.“ Zwar weiß sie genau, dass die Gelder bei einer Absage nicht dem Avantgarde-Theater zugeflossen wären. Doch hält sie einen Dialog mit Viktor Orbáns Kulturmanagern für sinnlos.

Karin Bergmann gebar auf dem Podium die Idee, demnächst mit der Produktion eines ungarischen Regisseurs wie Arpád Schilling oder Viktor Bodó, der zu Hause keine Aufträge bekommt, in Budapest zu gastieren. Vidnyánszky nahm das Hölzchen nicht auf. Er verließ die Veranstaltung, ohne sich von den Dialogpartnern zu verabschieden. RALF LEONHARD