„Hurra, wir haben keine Chefin mehr“

KULTOUR Die erste Station ihrer Theater-Reise führt Kulturstaatsministerin Monika Grütters ans Nationaltheater Mannheim

VON ALEXANDER KOHLMANN

Theater seien die Säulen unserer Kultur in Deutschland, glaubt die Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Am Mittwoch hat sie sich auf eine dreitägige Theaterreise begeben, auf der neue Produktionsformen und die Zukunft der Theater diskutiert werden sollen. Auf dem Programm stehen Orte der Freien Szene und staatlich finanzierte Institutionen. Und nein, es geht nicht etwa in die sterbenden Häuser der ostdeutschen Bundesländer, sondern ins vergleichsweise reiche Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Auf dem vom Team des Berliner Theatertreffens entwickelten Reiseplan stehen Besuche des Ringlokschuppen in Mülheim an der Ruhr, des Theaters Bonn und des Nationaltheater Mannheim, der ersten Station der Reise.

Schon während der Busfahrt vom Flughafen Frankfurt dorthin wird die leidenschaftliche Theatergängerin Monika Grütters erkennbar. Bereits während ihres Germanistikstudiums hat Grütters lange Zeit in der Dramaturgie der Bonner Oper gearbeitet.

Für Berlin wünscht sie sich nichts mehr, als endlich wieder Künstler, für die junge Menschen bereit sind, weite Strecken zu trampen. Wie sie es früher mit ihren Kommilitonen getan hat, von Bonn bis nach Westberlin.

Auch wenn die Studierenden heute wahrscheinlich eher den Fernbus nehmen, hat Grütters recht. Die wilden Künstlerseelen und Menschenfänger sind rar geworden auf deutschen Bühnen. Die werden zunehmend von gut vernetzten Absolventen der einschlägigen Ausbildungsinstitutionen geprägt.

Pilgernde Theaterfans

Ausnahmen wie der Regisseur und ehemalige Leipziger Intendant Sebastian Hartmann sind selten geworden. Zu seinen Inszenierungen pilgerten tatsächlich Fans nach Leipzig, während das in die Jahre gekommene Bildungsbürgertum in Scharen das Haus verließ. Grütters hat Hartmanns jüngste Inszenierung von Dostojewskis „Dämonen“ am Schauspiel Frankfurt gesehen und war begeistert, „so schnell sind selten fünf Stunden vergangen“.

Es macht Mut, dass bei dieser Theaterreise zuallererst von einem so sperrigen, im wahrsten Sinne des Wortes unangepassten Abend die Rede ist. Und von der Frage, ob sich nicht auch Berlin wenigstens einen Künstler dieses Formats leisten könnte – einen, der noch nicht Legende ist.

Aber zuerst führt die Reise weit weg von der Hauptstadt ins sonnige Mannheim. Hier wird die kleine Reisegruppe nicht von einem, sondern gleich von fünf Intendanten empfangen. Das Team des Theatertreffens hat bewusst dieses Haus für einen Besuch ausgewählt. Es steht exemplarisch für ein anderes Modell von Führung, es geht um nicht weniger als um eine Aufteilung der Macht.

Das zeigt sich schon in der Gesprächsanordnung. Im oberen Foyer ist ein runder, eigentlich eckiger Tisch zum Gespräch aufgebaut. Fünf Intendanten müssen erst einmal auf einem Podium zusammengebracht werden. Fünf sehr glückliche Intendanten, möchte man hinzufügen.

Wie lange habe er früher vor der Tür der Generalintendantin rumliegen müssen, bis er ein Okay für seine gute Idee bekommen habe, erinnert sich der frühere Operndirektor Klaus-Peter Kehr. Seit es keine Generalintendantin mehr gebe, sei die inhaltliche Auseinandersetzung größer geworden, auch zwischen den Sparten-Intendanten.

„Früher haben wir wenig miteinander geredet, sondern sind alle einzeln zur Chefin gelaufen“, ergänzt Andrea Gronemeyer. Die Leiterin des jungen Theater Schnawwl beschreibt den typischen „Flaschenhals“ in einem deutschen Mehrspartenhaus. Ein allmächtiger Chef leitet alles, wer mit ihm nicht kann, der fliegt. Solche Strukturen fördern natürlich nicht gerade die Kollegialität.

Seit in Mannheim die Intendantin aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste, gibt es diese feudale Struktur nicht mehr. Jetzt muss miteinander geredet werden. Entscheidungen dürften nur einstimmig fallen.

„Das hat durchaus eine politische Dimension“, betont Schauspiel-Chef Burkhard C. Kosminski. Und demonstriert im selben Atemzug, wie sehr er den neuen Teamgeist verinnerlicht hat. „Der Oper muss es gut gehen, dann geht es auch dem Haus gut.“ Es sei ihm völlig klar, „dass da das große Geld reingeht – und das große Geld gemacht wird.“ Da lächelt dann auch der Opernchef.

Killer-Viererbanden

Richtig glücklich präsentiert sich diese kollektive Führung. Weg mit dem allein herrschenden Intendanten und alles wird gut also? Das ist dann der Kulturstaatsministerin doch zu einfach. Auch wenn es sie freue, dass sich alle so gut verstünden, sie habe schon viele dieser Kollektiv-Leitungen in Berlin kennengelernt. „Und einer dieser Viererbanden hat dann zum Schluss das Schillertheater gekillt.“

Überhaupt das Schillertheater, der Name des 1993 vom Berliner Senat geschlossenen Schauspielhauses fällt mehrfach an diesem Tag. Er ist für Monika Grütters das abschreckende Beispiel in der Kulturpolitik. Ein Beispiel, das auch Antrieb für ihr Engagement ist. „Der Sündenfall Schillertheater darf sich nicht wiederholen“, betont Grütters. Eine solche Reise, wenngleich rein symbolischer Natur, kann sicherlich ein Beitrag zu Stärkung der Theaterlandschaft sein. Auch wenn die Ministerin kein Geld, sondern nur moralische Unterstützung im Gepäck hat.