Sagenhafte Körperspannung

KINO Mit „Härte“ hat Rosa von Praunheim einen Film über den früheren Karate-Champion und Zuhälter Andreas Marquardt gedreht: ein hybrides Ding zwischen Dokumentar- und Spielfilm, das Ambivalenz aushält

In Unterhosen bügelt Koffler seine Geldscheine, zärtlich spricht er mit seinen Zuhältergoldkettchen

VON ANDREAS BUSCHE

Die Biografie des ehemaligen Karate-Champions und Zuhälters Andreas Marquardt drängt sich als Filmstoff auf. Marquardt hat in den letzten Jahren zusammen mit dem Psychologen Jürgen Lemke seine Lebensgeschichte aufgeschrieben, die den programmatischen Titel „Härte“ trägt. Im Buch beschreibt Marquardt, der heute ein Sportstudio in Neukölln betreibt und sich in sozialen Projekten für Jugendliche engagiert, wie sein Vater ihm die Hand brach, als er sechs Jahre alt war, und wie er von seiner Mutter jahrelang sexuell missbraucht wurde. Mit der häuslichen Gewalt begann für Marquardt das „Hassprogramm Frauen“, wie er seine zweite Karriere als Zuhälter nennt.

Das deutsche Kino kennt für eine solche Biografie im Prinzip nur zwei Erzählungen: das Moralstück oder die sozialkritische Charakterstudie mit einem Schwerpunkt auf der Missbrauchsgeschichte. Man muss deshalb fast froh sein, dass sich der Regisseur Rosa von Praunheim Marquardts Memoiren angenommen hat. Von Praunheim ist ein polarisierender Akteur im deutschen Kino, Ambivalenz zieht er jederzeit einem öffentlich-rechtlichen Konsens vor. Den Titel der Biografie hat er nun einfach übernommen, doch er versucht mit seinem Film etwas, was auf den ersten Eindruck gewöhnungsbedürftig wirkt, sich am Ende aber als interessante Entscheidung erweist.

Er hat sich mit „Härte“ gegen das klassische Dokumentar-Format entschieden, wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil die schillernde Vorgeschichte Marquardts an eine Montage aus Talking Heads und Stadtansichten verschenkt wäre. Eine sachliche Dokumentation scheint ohnehin nicht angemessen, weil der geläuterte Marquardt einen charakterlichen Gegenentwurf benötigt. Diesen hat von Praunheim in Hanno Koffler gefunden, einem toughen Berliner Jungen, der seine ganze körperliche Härte einsetzt, um nicht als „Puschmütze“ auf der Straße zu enden.

Koffler spielt den jungen Andreas Marquardt mit einer sagenhaften Körperspannung, die sich immer wieder in Aggressionsschüben entlädt. Von Praunheim stellt den in Farbe gedrehten Interviewsequenzen also Spielszenen in Schwarzweiß gegenüber, die in ihrer theaterhaften Inszenierung eher an das kleine Fernsehspiel erinnern. Die Rückblenden liefern gewissermaßen eine Gegenerzählung zu den Erinnerungen von Marquardt und dessen Lebensgefährtin Marion Erdmann (im Film gespielt von Luise Heyer), die für ihren Freund jahrelang anschaffen ging.

„Doku-Fiktion“ wird diese krude Chimäre gerne von Fernsehredakteuren genannt. Warum von Praunheim in der deutschen Fernsehlandschaft heute nur noch selten ein Zuhause findet (obwohl die üblichen verdächtigen Anstalten als Geldgeber fungieren), lässt sich an einem Film wie „Härte“ allerdings sehr gut zeigen. Denn „Härte“ zeichnet eine faszinierende dramaturgische Inkonsistenz aus, die Re-enactments erfüllen dabei aber eine wichtige Funktion.

Lust an der Kolportage

Durch die stilisierte Genre-Erzählung des Luden, die Rosa von Praunheim bei aller Kenntnis der menschlichen Tragik mit einer Lust an der Kolportage inszeniert, wird Marquardt auch ein stückweit aus der Pflicht genommen, öffentliche Reue zu exerzieren. Die Härte ist Teil seiner Biografie. Im Grunde wird der Mythos vom ehemals härtesten Zuhälter Berlins gerade in dieser Inszenierung am schönsten gebrochen.

Wenn Koffler in Unterhosen seine Geldscheine bügelt oder zärtlich mit seinen Zuhältergoldkettchen spricht, entlarvt von Praunheim den harten Jungen als kleinbürgerlichen Gernegroß. Darin steckt eine ungewöhnliche Form von Zuneigung, die nicht erst eine Missbrauchsgeschichte als fadenscheinigen Erklärungsversuch für ein Leben auf der schiefen Bahn heranziehen muss. Von Praunheim lässt die verschiedenen Versionen nebeneinander stehen und überlässt es den Zuschauern, sich ein Bild zu machen.

■ „Härte“. Regie: Rosa von Praunheim. Mit Hanno Koffler, Luise Heyer. Deutschland 2015, 89 Min.