Schmeicheleien und Sperenzchen

FESTIVAL All that Jazz und noch mehr bei einem kunterbunten Konzertprogramm entlang der Skalitzer Straße – das XJazz-Festival geizt nicht mit prominenten Namen und knausert etwas bei der Orientierung fürs Publikum

Auch bei der zweiten Ausgabe von XJazz stellt sich die Frage: Welches Publikum will das Festival erreichen?

VON FRANZISKA BUHRE

Die in Töne entweichende Atemluft weht hinunter auf die Saiten des geöffneten Flügels und erzeugt dort einen vernehmbaren Widerhall. Der 85-jährige Flügelhornist Ack van Rooyen spielt im FluxBau sein Intro zu einer klassischen Jazzballade stehend in das Innenleben des Tasteninstruments. Mit seinem Programm aus Standards und Stücken von Musikern seiner Generation verneigt er sich vor einstigen Wegbereitern des Jazz, belebt ihre und die eigenen Werke mit kraftvollen und sanften Tönen neu – und nimmt sich zurück, wenn die Musik wie von selbst schwingt.

Das Trio aus Bass, Klavier und Schlagzeug rollt gemächlich vor sich hin, bis der Pianist sich bemüßigt fühlt, auch zu singen, und die zauberische Flügelhornschmeichelei einfach verfliegt. Es ist nicht das letzte Mal an diesem Donnerstag, dass ein Egotrip das Gespür für den gemeinsamen Klang im Eiltempo überholt, beim ersten Tag des diesjährigen XJazz-Festivals mit Konzerten an verschiedenen Orten rund um und entlang der Skalitzer Straße mit einem recht kunterbunten Programm.

Etwas später am Abend im Privatclub: „Rabih Beaini und Günter Baby Sommer kannten sich nicht, und genau das finden wir geil.“ So sagt es Sebastian Studnitzky, künstlerischer Leiter von XJazz, einleitend zur Begegnung des Elektronikkünstlers mit dem bekannten Free-Jazz-Schlagzeuger.

Ersterer walzt sofort eintöniges Dröhnen, Zischen, Quietschen von der Bühne, Sommer bearbeitet zunächst die lautstärksten Teile seines Instruments, um überhaupt hörbar zu erklingen. Denn Lautstärke ist Beainis Wahl, Timing und Phrasierungen scheint er nicht zu kennen.

Anders bei Sommer, dessen jahrzehntelange Erkundungen von Rhythmen und ihren Instrumenten in den verschiedensten Kulturen der Welt sich nach und nach Bahn brechen in seinem Spiel. Als er auf den Knien eine Reihe von Metall- und Steinplatten mit Hämmern zum Tanz erweckt und danach selbst tanzend mit einer Holzschlitztrommel interagiert, gehört alle Aufmerksamkeit ihm. Für sich genommen sind die Bass-Schlieren und anderen Sperenzchen des Elektronikers nur sterbenslangweilig.

Schockstarre löst der Auftritt der Sängerin Jessie Evans mit einem abgehalfterten Schlagzeuger im Bi Nuu aus: In Frack, Glitzer-BH, mit dem Tenorsaxofon als Deko und in kaum verständlichem Englisch beweist sich Evans als Inkarnation historischer Gruselkabinette.

Auf diese Bühne hätte eher Laura Winkler gehört, die mit ihrer fünfköpfigen Band Holler My Dear aber nur aus einem Café auf die Skalitzer Straße hinaus spielt. Umwerfend genüsslich verströmt ihre Musik die Wonne an Texten, Gesang, Instrumenten, dem Miteinander in Jazz, Folk und Chanson.

Von den insgesamt 70 Programmpunkten bei dem noch bis Sonntag dauernden XJazz sind Holler My Dear eine der gerade mal zehn Bands von Frauen. Eine derart geringe Präsenz von Frauen sollte sich kein Festival in Deutschland noch ernsthaft leisten dürfen.

Das Ticketing bei dem sich aus Einzelkonzerten zusammensetzenden XJazz verhindert dabei im Vergleich mit anderen Festivals spontane und überraschende Entdeckungen. Wer 15 Euro für ein Konzert zahlt und sofort danach hinausgebeten wird, lässt sich nicht auf Unbekanntes ein.

Auch bei der zweiten Festival-Ausgabe von XJazz stellt sich als zentrale Frage: Für wen eigentlich wird das Programm gemacht, welches Publikum will das Festival erreichen? Die Berliner Bands treten übers Jahr ohnehin in der Stadt auf, sowohl in den Jazzclubs als auch in genreübergreifenden Konzertreihen, in Projekträumen, Musikbars und Off-Locations, die alle ihr Publikum haben. Für das Aufgebot an DJ-Sets bei XJazz reisen wohl kaum auswärtige Fans an und die Electro-verwöhnten Berliner tanzen ohnehin anderswo.

Heute am Samstag präsentiert der Posaunist Nils Wogram in seinem Trio Nostalgia mit Orgel und Schlagzeug im Privatclub die Stücke seines neuen Albums „Nature“, parallel dazu zeigt im FluxBau der Pianist David Helbock im Trio mit Bass-Ukulele und Schlagzeug, wie gut Improvisationen in Kompositionen und intuitivem Zusammenspiel aufgehoben sind. Später schlägt hier Uri Gincel zur Abwechslung von seinem Job in der Band Bonaparte das Jazzklavier, gleichfalls in einem Trio. Wie auch Lucia Cadotsch, die im Auster Club zu Tenorsaxofon und Bass singt. Daneben gibt es weitere Konzerte im Lido, Bi Nuu, Monarch und in der Emmauskirche. Und mit José James gibt es noch einen XJazz-Nachschlag am Sonntagabend in der Neuen Heimat auf dem RAW-Gelände: dort präsentiert der Jazzsänger seine Hommage an Billie Holiday.

■ XJazz an verschiedenen Orten bis 10. Mai. Info: ber.xjazz.net