Termiten fischen, Nüsse knacken, Kafka lesen

AUSSTELLUNG Was ist Kultur? Wer ist ein Affe? Und was ist ein Mensch? Fragen über Fragen, die eine kenntnisreiche Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt aufwirft: „Ape Culture / Kultur der Affen“

VON KATHARINA GRANZIN

Wenn der Mensch vom Affen spricht, meint er damit natürlich immer die anderen. Dabei ist Homo sapiens, in biologischen Begriffen gesehen, selbst nur eine der vielen Unterarten der Kategorie „Affe“. Für das menschliche Selbstbild aber spielte diese Einordnung lange Zeit absolut gar keine Rolle. Noch immer existiert die sogenannte goldene Barriere, bei der es sich im Grunde um ein Denkverbot handelt. Nach dieser Sichtweise lebt auf der einen Seite der Grenze, als absoluter evolutionärer Sonderfall, der Mensch, auf der anderen Seite stehen alle anderen Lebewesen.

Doch es gibt Wissenschaftler, die an der Barriere rütteln und sie vielleicht sogar schon ein klein wenig verschoben haben. Zu ihnen gehört der Biologe Christophe Boesch vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der seit vielen Jahren eine Schimpansen-Forschungsstation an der Elfenbeinküste betreibt. Der Arbeit von Boesch und seinem Team ist es maßgeblich zu verdanken, wenn heutzutage allgemein anerkannt wird, dass auf manche Verhaltensweisen von Schimpansen der Begriff „Kultur“ angewendet werden kann – womit wieder ein vermeintliches menschliches Alleinstellungsmerkmal flöten gegangen ist.

Boesch war auch zur Eröffnung der Ausstellung „Ape Cul-ture / Kultur der Affen“ im Haus der Kulturen der Welt, die das Verhältnis des Menschen zu anderen Primaten zum Thema hat, eingeladen und hielt einen Vortrag, in dem er anhand von Grafiken, Videos und Fotos zeigte, was er meinte. Das „nut-cracking behaviour“ etwa, also das Nüsseknacken unter Zuhilfenahme eines Werkzeugs, das Boesch bei wildlebenden Schimpansen entdeckt hat, ist beispielsweise nur üblich in einem bestimmten Gebiet: Ein deutlicher Beleg dafür, dass es sich um kein angeborenes, sondern um erlerntes, innerhalb der Gruppe weitergegebenes Verhalten handelt.

Ein weiteres einschlägiges Beispiel ist das Termitenfischen mit Hilfe eines Stocks, das erstmals von Jane Goodall bei Schimpansen in Ostafrika beobachtet wurde. Auch unter westafrikanischen Schimpansen ist dieses Verhalten zwar gebräuchlich, doch wird in beiden Gebieten dafür jeweils eine andere Technik und auch ein andersartiges Werkzeug verwendet.

Die Forschungsergebnisse der Gruppe um Boesch werden – neben vielem anderen – in der von Anselm Franke und Hila Peleg kuratierten Ausstellung ausführlich dargestellt. Die Schau selbst zerfällt, und auch das ist vielleicht recht aussagekräftig, in zwei Teile: einen künstlerisch-bildnerischen, in dem aktuelle Arbeiten gezeigt werden, die sich mitunter recht frei an das Thema „Affe“ plus „Kultur“ andocken. Und einen wissenschaftlich orientierten, in dem auf sechzehn großen Schautafeln eine Fülle von Material untergebracht ist, das sich mit der Geschichte der Primatologie und dem Bild des Affen beziehungsweise Menschenaffen in der menschlichen Kultur befasst.

Dieser umfassende Überblick ist gut und prägnant gemacht, wohlsortiert und informativ, mit vielen Möglichkeiten, individuell tiefer in das angebotene Material einzusteigen. Auf zahlreichen Bildschirmen findet sich so viel an Filmmaterial integriert, dass man gut und gern einen ganzen Tag hier verbringen könnte und wohl immer noch nicht alles gesehen hätte. Zu begucken gibt es auch Kuriosa der Filmgeschichte, wie etwa der US-amerikanische Spielfilm „Bedtime for Bonzo“ von 1951, in dem der junge Ronald Reagan als Hauptdarsteller versucht, einem Schimpansen menschliche Moralbegriffe zu vermitteln.

Aber auch Schlüsseldokumentationen der modernen Primatologie kann man sich in voller Länge ansehen, wie etwa die Filme über die Feldforschung der jungen Jane Goodall in Tansania und über die Orang-Utan-Forscherin Biruté Galdikas im Dschungel von Borneo.

Natürlich lässt sich vieles in einer Ausstellung nur anreißen. Anderes fehlt allerdings völlig, und über manche Schwerpunktsetzung könnte man streiten. Während das Bild des Affen in den visuellen Medien sehr im Vordergrund steht, wird etwa die Wortkunst fast völlig ausgespart; einziger Hinweis auf die Mensch-Affe-Perspektive in der Literatur ist ein kurzer Exponattext zu Kafkas „Bericht für eine Akademie“. Dafür wird eine riesige Stellwand der Frage gewidmet, ob Affen als juristische Personen anerkannt werden sollen.

Insgesamt aber ist der Schautafelteil der Ausstellung eine wahre Fundgrube von Informationen und Entdeckungen. Der künstlerische Teil wirkt daneben einigermaßen arbiträr, was möglicherweise vor allem mit der räumlichen Trennung zusammenhängt.

Gerade das Enigmatische, das manchen der gezeigten Kunstwerke eigen ist, würde vermutlich an Deutungsmöglichkeiten gewinnen, hätte man es in einem einzigen Raumkonzept zwischen den sachlich orientierten Stellwänden platziert.

In der Primatologie als einem der ganz wenigen Wissenschaftsbereiche scheint immerhin die goldene Barriere zwischen Natur- und Kulturwissenschaften dabei zu sein, ein klein wenig durchlässiger zu werden. Da wäre es eigentlich nur angemessen, auch die Barriere zwischen Wissenschaft und Kunst einfach mal niederzureißen.