Explosives Bildmaterial

FESTIVAL Der „Photomonth“ in Krakau widmet sich in verschiedenen Ausstellungen aktuellen wie vergangenen Konflikten und Kriegen – manchmal fehlt es an Erklärungen

Die Darstellung und Wirkung expliziter Gewalt in sogenannten Schockfotos blendet der Themenmonat aus

VON DAMIAN ZIMMERMANN

Wie kann man mit dem Ausstellen von Fotografien den Konflikten und Kriegen der Welt gerecht werden? Kann man dies überhaupt? Wie kann sich der Betrachter solcher Bilder, die eigentlich in der Tagespresse verwendet werden, in geopolitische Krisen eindenken? Welche Möglichkeiten und Strategien, aber auch welche Einschränkungen hat das Medium Fotografie bei der Bewältigung von Krieg und Gewalt? Fragen dieser Art sind hochaktuell, denn zum einen ist die Fotografie längst zum Leitmedium unserer Zeit geworden, zum anderen haben wir weltweit so viele Konflikte und Kriege wie selten zuvor, die in ihrer Komplexität für den Einzelnen kaum nachvollzogen werden können.

Das Fotografiefestival „Photomonth“ in Krakau geht deshalb diesen Fragen in verschiedenen Ausstellungen nach, wobei die Kraft des journalistischen Einzelbildes nicht behandelt wird: Selbst von Sophie Ristelhuebers Kriegsnarben sind gleich zwei Bilder als Außenrauminstallation an einer Häuserwand zu sehen. Man geht scheinbar selbstverständlich davon aus, dass für komplexe Zusammenhänge notwendigerweise auch umfangreiche Bildstrecken genutzt werden müssen. Und die finden immer öfter in Fotobüchern denn in Magazinen oder gar Tageszeitungen ein Zuhause.

Eines wird allerdings schnell deutlich: Das Medium Fotografie allein reicht niemals aus, um Zustände oder gar komplexe Zusammenhänge zu erklären. Wir benötigen, um ein Bild „korrekt“ mit Inhalt zu füllen, immer auch eine Information oder einen Hinweis, der unseren Gedanken eine Richtung gibt. Haben wir diese nicht, sind unsere Assoziationen und Interpretationen so frei wie eine Feder im Wind – unsichtbar getragen von unseren ganz persönlichen Erfahrungen und Erwartungen. Kurz: Wir sehen nur, was wir wissen.

Sturz von Allende

Jeder Versuch, diese Tatsache zu ignorieren, ist grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. Das Buch „Esto ha sido“ von Luis Weinstein, zu sehen in der von Markus Schaden kuratierten Ausstellung „Track-22“ innerhalb des Photomonth, handelt von den Tagen der Hoffnung und Verzweiflung nach dem Sturz von Präsident Salvador Allende in Chile und ist allenfalls eine Aneinanderreihung rein subjektiver Alltagsbeobachtungen aus jener Zeit. Die entfalten natürlich ihre eigene erzählerische Kraft und lösen beim Betrachter eine gedämpfte Stimmung aus, lassen ihn aber ohne weitere Erklärung tendenziell eher ratlos zurück.

Das trifft übrigens auch auf die mit Abstand umfangreichste Dokumentation eines einzelnen Konflikts zu, die während des Photomonth präsentiert wird: Josef Koudelkas bekannte Fotografien der sowjetischen Invasion in Prag 1968 zeigen den Schrecken und das Entsetzen, aber auch den Trotz und die Bereitschaft zum Widerstand in den Gesichtern der Bevölkerung. Die Zuspitzung des Konflikts und die Entladung der Gewalt, bei der damals 70 Menschen getötet wurden, lässt die gespannte, hochexplosive Stimmung emotional nacherleben. Das funktioniert großartig. Aber auch hier: Das entsprechende Wissen wird vorausgesetzt, denn über den Konflikt an sich und seine Vorgeschichte erfahren wir nichts. Die Fotografie, mit den entsprechenden Hinweisen versehen, taugt auch hier lediglich dazu, eine bestimmte Situation zu beschreiben und zu dokumentieren.

Mit dem entsprechenden Vorwissen können manche fotografische Arbeiten zu der schweren Thematik aber auch richtig Spaß machen: Groß wie eine Tageszeitung zeigt die Publikation „Taksim Calling“ von Frederic Lezmi (ebenfalls im Rahmen von „Track-22“) Vergrößerungen von Postkarten mit alten Ansichten des Taksim-Platzes in Istanbul. Auf der Rückseite hat Lezmi seine persönlichen „Grüße“ verfasst – in Form von Fotos, die er vor Ort von den Demonstrationen, Tränengasangriffen und Barrikaden gemacht hat. „Taksim Calling“ hat es mit seinen Andeutungen und Doppeldeutigkeiten in sich: Das Zeitungsformat ist eine Kritik an den türkischen Medien, die nahezu nichts über die Proteste gebracht haben; die Postkarten zeigen eine Idylle, die es längst nicht mehr gibt; die eigentlichen Fotos hat Lezmi mit dem iPhone im typischen Look der Hipstamatic-App gemacht. Er spielt damit auf die Verbreitung solcher Bilder über Social-Media-Kanäle an, die bei den Protesten eine wichtige Rolle gespielt haben. Lezmis Arbeit ist deshalb ein starkes künstlerisches Statement, taugt aber ebenfalls nicht als Erklärung: Sie trägt in keiner Weise zum Verständnis des Konflikts zwischen den Demonstranten und der Regierung bei, sondern setzt dieses sogar zwingend voraus.

Was das Festival übrigens komplett ausblendet, ist die Darstellung und Wirkung expliziter Gewalt in sogenannten Schockfotos. Eigentlich verwunderlich, verbindet man doch genau diese am ehesten mit Krisen und Konflikten – und lösen doch genau diese die meist heftigsten Reaktionen beim Betrachter aus: Nick Uts Ikone „Napalm Girl“ vom nackten vietnamesischen Mädchen, das aus ihrem bombardierten Dorf flieht, hat nach seiner Veröffentlichung zu einem Umdenken in der US-amerikanischen Bevölkerung über die Legitimität und Vorgehensweise der eigenen Armee beigetragen. Ähnliches gilt für Fotos aus Guantánamo, die dem abstrakten Begriff des Gefangenenlagers die beschönigende Maske vom Gesicht riss, und die Bilder von der Hungersnot in Biafra, die eine Hilfswelle auslösten – ganz gleich, ob man die Hintergründe nun verstand oder nicht.

Vielleicht ist ja genau das die Möglichkeit der Fotografie: Wenn Sie schon nicht erklären kann, so kann sie zumindest kommentieren und in einem einzigen Bild verdichten, wozu die berühmten tausend Worte nicht imstande sind.

■ „Conflict“. Photomonth Krakow, bis 14. Juni, www.photomonth.com