Vom Protest zum Widerstand

RAUER TON Jean-Gabriel Périots Compilation-Film „Une jeunesse allemande“ dokumentiert den Weg von den Studentenprotesten der sechziger Jahre in den Deutschen Herbst

Der unhandliche Ton, in dem sich heute in Blogs über Autoritäten beschwert wird, saß damals in Fernsehstudios herum und kam aus dem Mund von Ulrike Meinhof

VON MATTHIAS DELL

Nimmt man das mediale Empörungsaufkommen um das Professorenbeobachtungsblog Münkler-Watch an der Berliner HU als Beleg, ist der Ton an deutschen Universitäten rau. Er war schon einmal rauer. „Studenten der Freien Universität haben in den vergangenen Jahren wiederholt Ärger und Unwillen ausgelöst“, formuliert der Sprecher unter Schwarz-Weiß-Bildern, auf denen als Zeitangabe „1965“ steht.

Die Studenten randalieren, stoßen den Rektor vom Mikrofon, „sie verteilen Flugblätter, in denen ihre Lehrer als professorale Fachidioten bezeichnet werden“. Dafür ist der Kompilationsfilm „Une jeunesse allemande – Eine deutsche Jugend“ schon mal gut: Durch den Blick ins Archiv schaut es sich demütiger auf die Aufgeregtheiten der Gegenwart.

Der unhandliche Ton, in dem sich heute in Blogs über Autoritäten beschwert wird, saß damals in Fernsehstudios herum und kam aus dem Mund von Ulrike Meinhof. Zart besaitete Gemüter könnten an dieser Stelle den Zeigefinger wieder hochziehen, um darauf zu deuten, wohin Protest an der Universität führen kann – geradewegs in einen deutschen Terrorismus. Denn natürlich spannt die Archivrecherche von „Une jeunesse allemande“ den Bogen von den Studentenunruhen in den Jahren vor 1968 bis zum Ende des Herbsts 1977, zur Befreiung der Lufthansa-Maschine „Landshut“, der Schleyer-Ermordung und dem Selbstmord in Stammheim.

Daraus schon eine These abzuleiten, hieße allerdings, dem Film zu viel diskursiven Ehrgeiz zu unterstellen, auch wenn „Une jeunesse allemande“ als Link zwischen Protest und Gewalt einen O-Ton von Rudi Dutschke anbietet, der in einer Versammlung vor einer Demo davon spricht, im Fall von Polizisten auf Pferden oder mit Knüppeln „offensiv“ dagegen vorzugehen. Eigentlich könnte es von einigem Reiz sein, dass mit Jean-Gabriel Périot ein nachgeborener (Jahrgang 1974) Auswärtiger (Franzose) ins Archiv geht und sich sein Bild von der deutschen Geschichte zu machen versucht.

Im besten Fall hätte er in den Dokumentaraufnahmen, „Tagesschau“-Bildern und Studentenfilmen etwas entdecken können, für das eine deutsche Wahrnehmung blind geworden ist, weil sie sich damit ihre eigene Geschichte tapeziert – mit den ikonisch gewordenen Bildern von Meinhof, Meins und Baader, mit 2. Juni und Helmut Schmidt. Nur leider ist Périot vor allem mit Chronologie beschäftigt, was dann deutlich und langweilig wird, als die Schlagzahl des Nachrichtenwerts sich erhöht: „Mai-Offensive“ der RAF mit den Bomben gegen US-Armee, Richter Buddenberg und Springer-Gebäude und die Aktion „Wasserschlag“, die zur Verhaftung von Baader, Ensslin, Meinhof führt, verdichtet „Jeunesse allemande“ auf Ergebnis und Information.

Es muss je in einem Bild gezeigt werden, was die Bomben anrichteten und wie die für das Leben im Untergrund maskierte RAF-Prominenz in die Sichtbarkeit der Öffentlichkeit zurückgeholt wird durch Verhaftung. In diesen Momenten scheint es, als schaute der Film selbst gebannt das Fernsehen, zu dem er sich doch eigentlich verhalten wollte.

Was zwischen den Nachrichten-Informationen passiert, verschwindet im Rearrangement von Bildern, die in keinem Jahresrückblick 1972 gefehlt haben dürften und darüber hinaus so oft vorgeführt worden sind, dass man in ihnen nichts mehr sehen kann außer den Ikonen, die sie sind: der nackte, schreiende Holger Meins, der wie ein Faultier an allen Vieren abgeschleppte Andreas Baader, Gudrun Ensslin, die ihr Gesicht auf die Knie drückt, um es vor den Kameras zu verbergen.

Das ist die schale Pointe von Périots „Jeunesse allemande“: Die Faszinationskraft der Bilder von 1968 und RAF ist so groß, dass sie nicht nur jeden Spielfilm der jüngeren Zeit (Eichinger/Edels „Der Baader Meinhof Komplex“ von 2008, Andres Veiels „Wer, wenn nicht wir“ von 2011) in eine immer schon defizitäre Mimikry des Realen zwingen, sondern dass sie sich von selbst aufstellen noch in einem Dokumentaressay, das doch über diese Bilder nachdenken sollte. Es ist bezeichnend, dass der Film mit Fassbinders sich das Gemächt kraulendem Superprivatismus aus „Deutschland im Herbst“ endet. Dieser Kommentar beschreibt in seiner bildlichen Rigorosität nämlich genau den Ort, von dem aus „Une jeunesse allemande“ selbst gern auf die Geschichte geschaut hätte.

■ „Une jeunesse allemande – Eine deutsche Jugend“. Regie: Jean-Gabriel Périot. Schweiz/Deutschland/Frankreich 2015, 93 Min.