SCHWUL-LESBISCHE AMPELMÄNNCHEN IN WIEN
: Triumph der nicht genormten Identität

Knapp überm Boulevard

VON ISOLDE CHARIM

Wenn Sie mit Wien Sisi, Lipizzaner und Walzer verbinden, dann muss ich Ihr Bild korrigieren: Derzeit ist Wien Life Ball, ESC, CSD, schwul-lesbische Ampelpärchen und – Conchita. Auf Straßenbahnen, in Klimtgemälden, auf Bankplakaten, per Lautsprecher hallt ihre Stimme in den U-Bahn-Stationen. Was ist eigentlich los? Was hat diese Spießerstadt mit ihrem ehemals herben Ostblockcharme so verwandelt? Ist Wien nun ein schwul-lesbisch-transes Zentrum? Ein Hort der Liberalität? Eine Metropole der Offenheit?

Interessant ist, dass diese Verwandlung kein Subkulturereignis ist. All das, was derzeit geschieht, ist Mainstream. Niemand fördert das mehr als die Tourismusbranche. Sie war es, die die Ampelpärchen als Dauerinstallation durchsetzte. Touristik als Fortschrittsmotor? Jetzt kann man natürlich sagen: Ist doch klar, die vermarkten das. Das bedeutet Umsatzsteigerung. Volle Hotels, volle Restaurants. Aber das beantwortet nicht die Frage: Warum lässt sich gerade das vermarkten? Warum ist gerade das ein Imagegewinn? Und: Was wird da eigentlich verkauft?

Verkauft wird der Event. Da gibt es zum einen das wienspezifische Element: das Feiern. Das dockt an eine lange Tradition von Opulenz, Kostümierungen und Zurschaustellung an. Zum anderen aber ist der Event ganz allgemein ein Ereignis, ein kollektives Erlebnis. Verkauft wird also, dass etwas geschieht – vielleicht nichts anderes, als dass sich ein Kollektiv bildet. Das gemeinsame Erlebnis ist ja ein Erleben der Gemeinschaft. Dieses braucht aber etwas, an dem diese Gemeinsamkeit gebildet werden kann. Ein Objekt, das dieses Erleben auslöst. Dieses Etwas, und das ist der springende Punkt, hat sich verändert.

Exemplarisch für das, was sich verändert hat, ist Conchita Wurst. Zur Erinnerung: Anfangs wurde die Frau mit dem Bart vielfach als Freak bezeichnet. Freakshows waren die Ausstellung einer Abnormität, die den Betrachter mit leichtem Gruseln in seiner Normalität bestätigte. So haben viele Männer bei Conchitas Auftauchen mit Ekel und Übelkeit reagiert. Mit Kastrationsangst also. Aber was dann passiert ist, das war eine Umkodierung.

Conchita hat das Außertourliche mit Schönheit verbunden. Und mit dem Mut, sich so zu präsentieren. Zu einer Geschichte aber wurde dies erst durch den Erfolg. Der Erfolg hat dieses Auftauchen nachträglich – quasi rückwärts gelesen – zu einem Momentum gemacht. Erfolg aber ist nichts anderes als ein Geflecht von Annahmen: Man unterstellt, dass andere etwas anerkennen, dem man sich anschließt.

Durch den Erfolg aber kam es zur Umkodierung vom Freak zur Ausnahmegestalt, mit der man sich identifiziert, in der man sich wiedererkennen kann. Aber warum? Sind jetzt alle schwul, lesbisch oder trans?

Nein, darum geht es nicht. Wir erleben vielmehr einen Triumphzug der nicht eindeutigen, der nicht genormten Identitäten anhand des Geschlechts. Ein Feierreigen der nicht vollen Identitäten. Und Conchita hat diesen ein Bild, ein Symbol und ein Momentum geliefert.

Wenn eine andere sexuelle Orientierung sichtbar im öffentlichen Raum zugelassen werden kann, dann deshalb, weil sie keine (oder zunehmend weniger) Bedrohung mehr darstellt für die Mainstream-, für die Normidentität. Das gilt übrigens nicht zwangsläufig auch für die andere Seite – für die vollen, eindeutigen Identitäten: Was ist eine Frau mit Bart gegen eine Frau mit Kopftuch?

Hier aber zeigt sich: Eine andere geschlechtliche Identität ist möglich. Damit aber scheint sich eine neue Freiheit zu eröffnen, eine unglaubliche Selbstermächtigung. (Deren Kehrseiten bleiben dabei ausgeblendet.) Ein Versprechen, das sich in dem Modus vollzieht, in dem sich das Gesellschaftliche heute abspielt – im Rausch, in der Feier, im Event. Dafür liefert das Queere die ideale Munition: eine neue Möglichkeit von Transgress, den vielleicht letzten Exzess. Es ist dies mittlerweile ein „guter“, ein „gezähmter“ Exzess. Das macht ihm massentauglich. Das ist es, was in ganz Wien inszeniert wird. Kein Wunder, dass die Touristik da aufspringt: Braver Exzess sells.