Ihr Motto ist Ja

TANZ In ihrem neuen Stück „69 Positions“ setzt die Choreografin Mette Ingvartsen ihre Auseinandersetzung mit Sexualität und Affektmanipulation fort. Ab 2017 gehört sie zum neuen Team der Volksbühne

Sie kombiniert forschendes Interesse mit Sinnlichkeit, Spieltrieb mit Intelligenz

VON ASTRID KAMINSKI

Mette Ingvartsen war nie eine Newcomerin. Sie war plötzlich da. Schon ihre ersten Arbeiten nach ihrer Studienzeit in Amsterdam und in Brüssels bekannter Tanzperformance-Schmiede P.A.R.T.S. (1999 – 2004) punkteten mit Timing, Intelligenz, starken Einfälle, formaler Klarheit, Verspieltheit. Sie choreografiert TänzerInnen, Material, die Wahrnehmung der Zuschauer und tanzt und performt auch selbst. In „All the way out there“ hat sie sich auf seltsame Traumpfade zwischen menschlicher und nicht-menschlicher Bewegung und Artikulation begeben, in „evaporated landscapes“ künstliche Landschaften entstehen und vergehen lassen, in „It’s in the air“ eine Rhythmus- und Variationen-Etüde auf dem Trampolin hingelegt.

In die Folge ihrer langjährigen Beschäftigung mit Sexualität und Affektmanipulation gehört ihr jüngstes Werk „69 Positions“ (2014, UA PACT Zollverein), in das sie auch zwei frühe Stücke zu sexuellen Begehrensmustern, „To Come“ (2005) und „Manual Focus“ (2003), einbezieht. Nun kommt sie damit ans HAU, ihre Berliner Stammadresse. Es ist der erste Teil einer „Red Pieces“ überschriebenen Trilogie, der zweite folgt im Dezember.

Ihre Aufführungen in Berlin waren immer gut besucht, aber das Interesse dürfte nie größer gewesen sein als jetzt. Seit einem Monat ist bekannt, dass Chris Dercon sie mit in sein 2017 an den Start gehendes Volksbühnenteam geholt hat. In der dpa-Meldung, die oftmals in anderen Medien übernommen wurde, wurde sie allerdings erst in der zweiten Reihe genannt. Zunächst wurden Boris Charmatz, Romuald Karmakar, Alexander Kluge erwähnt. Punkt. Nächster Satz: „Ebenfalls dabei: Die deutsche Theaterregisseurin Susanne Kennedy und die dänische Choreografin Mette Ingvartsen.“ Zusammen mit der Tatsache, dass Charmatz und Ingvartsen ein Paar sind, kam da der Verdacht auf, dass Ingvartsen als „Frau von“ berufen wurde.

Die direkte Frage danach (per Mail) leitete sie an Chris Dercon weiter. Der schreibt: „Sie wurde mir, auf meine Nachfrage hin, im Herbst 2014 über P.A.R.T.S. und Rosas empfohlen. Meine Brüsseler Kontakte schilderten sie als absolut interessante junge, experimentelle, feministische Choreografin, die darüber hinaus spannende Gedanken und Programmideen mit nach Berlin bringen könnte. Erst danach kam ich auf die Familienbindung mit Boris. Das heißt, Mettes Name fiel, bevor Boris überhaupt erwähnt wurde.“

Was Dercons Brüsseler Netzwerk angeht: Gratulation! Und dabei kann am Beispiel Ingvartsen gleich auch noch die Frage behandelt werden, ob er nicht auch sein Berliner Netzwerk ein bisschen mehr hätte bemühen können. Vielleicht hat er’s sogar getan. Tatsache ist: „Junge“ ChoreografInnen, die wie Ingvartsen in der Lage sind, schillerschen Spieltrieb mit formaler Intelligenz zu kombinieren, forschendes Interesse mit Sinnlichkeit, eine eigene Signatur mit Offenheit, gibt es in der Berliner Tanzlandschaft so derzeit nicht. Im Bezug auf dionysisch-apollinische Balance wäre Jeremy Wade zu nennen, aber der ist herrlich unberechenbar.

Mette Ingvartsens Motto ist Ja. Als Antwort auf das „No Manifesto“ der Tanzikone Yvonne Rainer, das eine theatrale Scheinwelt ablehnt, schrieb sie 2004, fast 40 Jahre später, ein „YES manifesto“. Nach der nüchternen Konzepttanz-Ära – dessen Verdienste, den Körper als lesbar zu begreifen sie integriert – sollen Kostüm, Licht, Affekt, Virtuosität etc. wieder eine Rolle spielen. Um die Inszenierung der Wirklichkeit zu begreifen, macht sie das Theater zu ihrem Labor.

„Yes to redefining virtuosity“, schrieb sie. Als Performerin schont sie sich nicht. Zwei Stunden lang führt sie in „69 Positions“ solistisch und größtenteils unbekleidet durch eine als räumlicher Hypertext eingerichtete Bühnengalerie, in der Bücher, (Foto-)Dokumente und Videos ständig neue Impulse und Bezüge liefern. Zentral steht die Repräsentation von (weiblicher) Sexualität – von den 1960ern bis heute, von Richard Schechner bis zu Paul B. Preciado.

Die Performerin ist mal erklärende Galeristin, mal wird sie selbst zum (Demonstrations-) Objekt, mal lässt sie Szenen rein imaginär entstehen. Der nackte Körper ist politisches Statement, konfrontierende Projektionsfläche, hormonell manipulierbarer Akteur, konkretes Gegenüber, sinnlicher Fetisch oder reine Fleischlichkeit. Die Zuschauer bestimmen selbst, wie viel Nähe sie zulassen, wie viel Partizipation sie wollen.

Bei einem Gespräch in Paris Ende 2014 sprach Ingvartsen von ihrem wachsenden Interesse an „Choreografie als Organisationsform“. Und das kann ebenso heißen, einen Wahrnehmungsrahmen zu schaffen wie scheinbare Ordnungen zu destabilisieren. Um damit die Frage zu stellen, was unter welchen Bedingungen mit uns passiert.

■ „69 Positions“ im HAU 3, 28.–31. Mai, 20 Uhr