Der Himmel donnert

ELEKTROAKUSTIK Bérangère Maximin komponiert am Computer bedrohlich-sinnliche Collagen, mal irritierend, mit Groove. Am Donnerstag spielte sie in der Friedenskirche, heute ist sie im Loophole und am Sonntag im Miss Hecker zu hören

VON TIM CASPAR BOEHME

Rauschen. Zischen. Dann ein Wehen wie bei einem aufziehenden Gewitter. Rhythmisches Rumpeln, dem ein Takt zugrunde liegen könnte. Gelegentlich knallt etwas, vielleicht entfernte Feuerwerkskörper. Man hat bei diesen Klängen unmittelbar eine Assoziation, irgendein Bild im Kopf. Dennoch kann man nie mit Bestimmtheit sagen, was für akustisches Material die Komponistin Bérangère Maximin wirklich verwendet.

Für Bérangère Maximin, die am Donnerstag in der Charlottenburger Friedenskirche ihr zweites Berlinkonzert überhaupt gab, hat diese konkrete Verwirrungsstrategie durchaus Methode. Sie hat auch einen Namen: Akusmatik nennt man den Ansatz, Musik so zu gestalten, dass die Herkunft der Klänge unkenntlich gemacht wird. Und der französische Komponist François Bayle, der den Begriff geprägt hat, ist ein wichtiger Einfluss für Maximin.

Wobei sie sich im Gespräch vor dem Konzert beeilt, zu sagen, dass ihre Musik streng genommen „elektroakustisch“ genannt werden muss, denn sie selbst sitze ja mit ihrem Computer vor dem Publikum: „Bei akusmatischer Musik dürfte ich nicht einmal auf der Bühne sein.“ Weil einfach gar keine Quelle der Musik zu erkennen sein soll. Abgesehen davon, dass sie als Urheberin in Erscheinung tritt und ihr Instrument, der Computer, beim Auftritt deutlich zu sehen ist, bleibt ihre Musik gleichwohl von der Idee der Akusmatik inspiriert: eine Irritation der Hörer mit ambivalenten Klängen. Eine Irritation, die mitunter leicht bedrohlich wirken kann.

Bérangère Maximin lebt seit zwölf Jahren in Paris, geboren wurde sie auf der zu Frankreich gehörenden Insel La Réunion im Indischen Ozean. Dort sei sie mit Voodoo als Teil der Alltagskultur aufgewachsen, ihre Großmutter und ihre Mutter hätten ernsthaft Angst vor den Symbolen dieser Religion gehabt. In ihre Musik hat diese Kultur indirekt Eingang gefunden – die beunruhigenden Anteile dürften von dort stammen –, ebenso die südafrikanischen Rhythmen der Region.

Rituell sind ihre ausgedehnten Stücke aber nicht, selbst wenn sich hin und wieder ein durchgehender Rhythmus herausbildet, der sogar eine Art Groove entfalten kann. Ähnlich wie auf ihrem soeben erschienenen Album „Dangerous Orbits“, von dem sie einzelne Klänge im Konzert verwendet, die sie dann neu arrangiert oder variiert.

Alle Elemente, mit denen Maximin arbeitet, zielen bewusst auf Uneindeutigkeit und Andeutung ab, sie bringt Klänge und Gesten ins Spiel, nur um sie im nächsten Moment wieder zurückzunehmen. Sie möchte, dass sich beim Hören ein Gefühl der Desorientierung einstellt. Die Grundstimmung sei zwar in der Regel meditativ, doch stellt sie klar: „Es ist keine beruhigende Musik.“

Das Ergebnis wirkt bei aller Verstörung, die sich einstellen mag, zugänglich und entwickelt einen diskret hypnotischen Sog, aus dem man gar nicht richtig herausgerissen wird. Nach ihrem Soloauftritt wundert man sich vielmehr, wie schnell diese Dreiviertelstunde vergangen ist.

Dass das Konzert in einer Kirche gegeben wurde, hatte neben der guten Akustik des Saals den Vorzug, dass zusätzlich zu den bei solchen Veranstaltungen üblicherweise anwesenden jüngeren bis mittelalten Musiknerds einige aufgeschlossene Kirchenmusikgänger höheren Alters zugegen waren. Eine betagte Frau in der Reihe hinter mir fühlte sich nach der ersten Hälfte des Konzerts gar inspiriert, spontan eine Zeile aus Nikolaus Lenaus Sommergedicht „Das Gewitter“ zu zitieren: „Der Himmel donnert.“ Sie blieb auch für den zweiten Teil.

Nach der Pause teilte sich Maximin die Bühne mit dem Berliner Krautrocker Günter Schickert, ein musikalisches Wagnis und Generationentreffen: Maximin ist Jahrgang 1976, Schickert hingegen 66 Jahre alt. Es war ihr erstes gemeinsames Konzert. Der als Pioniere der Echodrive-Gitarre erst vor wenigen Jahren so richtig entdeckte Schickert steuerte Gitarrenloops und die Töne eines Muschelhorns bei, schichtete und verfremdete seine Klänge. Von Maximin wurden Schickerts Ideen teils verstärkt, teils mit gezielten Gegenakzenten aus dem Gleichgewicht gebracht.

Heute und morgen gibt es noch einmal Gelegenheit, Bérangère Maximin solo zu erleben: Am Samstag im Neuköllner Loophole, wo sie sich den Abend mit dem – ebenfalls als Produzent von Noise-Rock-Bands wie Sonic Youth, Swans oder Boredoms in Erscheinung getretenen – Musiker Martin Bisi und seiner Band den Abend teilt, und am Sonntag zum Beschluss mit einer „Listening Party“ im Miss Hecker, bei der man entspannt im Sitzen oder Liegen hören kann. Gelegentliche Irritationen inbegriffen.

■ Bérangère Maximin: „Dangerous Orbits“ (Crammed Discs/ Indigo); live Samstag, 21 Uhr, Loophole, Boddinstr. 60, Sonntag, 20 Uhr, Miss Hecker