Rhythmisch vorgetragene Wohnungsannoncen

FILMDEBÜT Die ausgefuchste Farbdramaturgie kann es mit den Suhrkamp-Bändchen aufnehmen: „Ich will mich nicht künstlich aufregen“, der erste lange Film des jungen Berliner Regisseurs Max Linz, betreibt wunderbar kluge Kulturbetriebs-Selbstreflexion

Max Linz stürzt sich in seinem Film mitten in die Dinge, die er die letzten Jahre gelernt und betrieben hat

VON SILVIA HALLENSLEBEN

Da, wo im Abspann eines Films üblicherweise die Namen zitierter, urheberrechtlich geschützter Werke stehen, wird in „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ als erste Referenz die 20. Lärmdemo gegen Verdrängung, sinkende Löhne und Rassismus im August 2013 und deren Organisatoren vom „Kotti & Co (Youth)“ genannt. Dann erst folgen ein Stück von Schönberg, ein von dem im Schweizer Exil gestorbenen jüdischen Tenor Joseph Schmidt gesungenes Operettenlied und Andrei Tarkowskis „Solaris“, von dem wir im Film aber nur den Ton und das reflektierte Lichtspiel einer Projektion auf dem Gesicht der Hauptdarstellerin wahrnehmen konnten.

Dieses scheinbar formale Detail der Benennung zeigt, dass der Regisseur Max Linz neben politischem Willen auch Witz und Genauigkeit mitbringt. Und es deutet an, in welch weitem Assoziationsraum er sich zwischen Kunst, Geschichte und dem renitenten echten Leben in Berlin-Kreuzberg zwischen Südblock und Urban Gardening verortet. Als Referenz ausdrücklich benannt wird im Film auch Bert Brecht, dem von der wunderbaren Kerstin Grassmann sogar mit einem eigenen Brecht-Yoga („Schließt die Augen und versucht die Gesellschaft geschichtlich zu betrachten!“) gehuldigt wird.

Hannelore Hoger lässt in einer kleinen, mit Joachim Gauck teilimprovisierten Rolle die Filme Alexander Kluges anklingen. Zusätzlich lassen sich neben einem an René Pollesch angelehnten diskursiven Übermut auch eine kräftige Prise Godard plus geballter Rambazamba-Power ausmachen. (Rambazamba machen in Berlin seit zwanzig Jahren integratives Theater.) Dabei dürfen sich auch die Darsteller mit Down-Syndrom statt der in den letzten Jahren gepuschten „leichten Sprache“ hier richtig satt in verbaler Komplexität suhlen.

Heftiger Affektausbruch

Also alles nur Zitat hier? Nein! Dem Titel gemäß beginnt der Film mit einem heftigen Affektausbruch, in dem sich Hauptdarstellerin Sarah Ralfs mit „Scheiße“-Schreien am Boden herum wirft. Einen Schnitt später aber sitzt die junge Frau schon wohl frisiert und geschmackvoll gewandet an einem Schreibtisch mit weitem Grünblick hinter einer Batterie aus farblich sortierten Suhrkamp-Bändchen und anderen Insignien kultureller Distinktion wie einem Zeit-Feuilleton, in dem sie gelangweilt blättert.

Dann wird erst mit verteilten Rollen Theoretisches über die Produktionsbedingungen von Kultur verlesen, bevor es an die eigene Produktion ästhetischer Diskurse selbst geht. Denn Asta Andersen will als Kuratorin eine Ausstellung mit dem Titel „Das Kino. Das Kunst“ realisieren, die der aktuellen Flucht der bewegten Bilder aus Kino und TV in die Bildenden Künste nachspüren soll. Dafür braucht sie Geld. Soweit zum Plot, der sich recht offensichtlich aus eigenen Erfahrungen des Regiestudenten an der Berliner DFFB (Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin) und im angehenden Filmgeschäft nährt.

Seine Einsichten zum Betrieb hatte Linz schon 2012 in der Web-Serie „Das Oberhausener Gefühl“ zum Ausdruck gebracht. Jetzt sind sie das angemessene Thema für den Abschlussfilm eines jungen Manns, der zu klug ist, das eigene kurze Erdenleben als ausreichende Basis zum Filmemachen zu halten und sich stattdessen mitten in die Dinge stürzt, die er die letzten Jahre gelernt und betrieben hat.

Linz erzählt die Geschichte von Asta und ihrem Umfeld (samt einem geheimnisvollen indischen Kapitalgeber) als Collage verschiedenster Stilelemente von der Sitcom bis zum Web-TV und lässt es dabei ebenso pop-stylish wie grimmig angehen. Dabei kann die ausgefuchste Farbdramaturgie den Vergleich mit den bunten Suhrkamp-Bändchen locker bestehen. Und Hauptdarstellerin Sarah Ralfs amalgamiert das Schimpfen über Günther Rohrbachs Amphibienfilm scheinbar mühelos mit raffiniert choreografierten Catwalk-Passagen. Parallel lässt Linz Mieteraktivisten am Kottbuser Tor als Chor rhythmisch Wohnungsannoncen und Protestparolen aufsagen. Man könnte den Zug durch die Diskurse für pure Satire halten – und das ist er auch etwa in der herrlich komischen Rolle einer „Oberkulturinzensentin“, die inmitten einer bürokratischen Floskelwolke („Ich verbürge mich, mein Möglichstes zu tun“) über die Vergabe der Fördermittel entscheidet.

Andererseits ist das meiste auch ganz und gar und wohltuend ernst gemeint. Ein bisschen altklug ist Linz dabei manchmal schon. Amüsant, aber auch anstrengend für Zuschauer, die beim Wortstakkato zwischen so mysteriös-schönen Begriffen wie „normative Kühe“ oder „Rückverzauberung“ vielleicht nicht immer mitkommen. Doch der Versuch lohnt – ist es nicht viel besser, von einem Film über- als unterfordert zu werden?

Selbstverständlich ist Linz’ mit Fördergeldern gedrehter Film selbst Teil des Systems, das er attackiert. Selbstverständlich weiß er das. Vielleicht hat er deswegen ja den Demonstranten vom Kotti das letzte Wort gegeben. Es wäre interessant zu wissen, wie diese Jungs (und vielleicht auch Mädels?) den Film sehen.

■ „Ich will mich nicht künstlich aufregen“. Regie: Max Linz. Mit Sarah Ralfs, Hannelore Hoger u. a., Deutschland 2014, 84 Min.