Die geteilte Einsamkeit

THEATER Romeo Castellucci inszeniert „Ödipus der Tyrann“ nach Sophokles und Hölderlin an der Schaubühne. Dabei bedient er sich mit Vorliebe bei traditionell christlich aufgeladenen Bildern und Zeichen

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Er kriegt die Finger da nicht raus, die Bilder lassen ihn nicht los: Der italienische Regisseur Romeo Castellucci wühlt tief im Besteckkasten einer katholischen Ikonografie in seiner Inszenierung von „Ödipus der Tyrann“ nach Sophokles und Friedrich Hölderlin. Es beginnt damit, dass die große Bühne der Schaubühne in dämmerndes Licht getaucht ist und der Zuschauer ungefähr eine halbe Stunde lang wortlosen Szenen aus dem Alltag in einem Nonnenkloster beiwohnt. Wunderbar choreografiert sind die geschäftigen Gänge der Nonnen, ihre Arbeit im Garten, einem Gemälde gleich ist ihr gemeinsames Mahl dargestellt und ausgeleuchtet. Man könnte sich wie in einem Museum sattsehen an diesen Bildern wunschlosen Seins, wäre da nicht der unheimliche Sound, ein Knarzen im Gebälk, eine Überbetonung jedes Geräuschs beim Verschieben der Kulissen und zudem die Erwartung, das Drama des Vatermörders Ödipus zu sehen.

Erotisches Aperçu

Als das Drama dann beginnt, mit einem gefundenen Buch, einer heimlichen Lektüre von Hölderlins Ödipus, wird wieder christliche Kunstgeschichte zitiert: Der Seher Tiresias tritt auf im Schafsfell und mit einem Lamm in den Armen wie Johannes der Täufer. Jokaste, die Mutter des Ödipus und seine Frau, trägt das blaue Kleid der Jungfrau Maria; der König selbst steht mit geöffneten Armen wie ein Christus in einer Nische. Als wäre dies nicht genug der Überschreibung der Zeichen, wird er zudem von einer Frau gespielt, von Ursina Lardi in antikisierender Toga, die stets eine kleine weibliche Brust frei lässt, ein fragiles erotisches Aperçu in einem verwirrenden Kontext.

Romeo Castellucci ist ein gut aussehender Mann, schmal und asketisch. Das spielt eine Rolle, weil er in seiner Inszenierung schließlich selbst zu sehen ist, märtyrerhaft leidend im Einsatz für die Kunst, und mit seinem physischen Schmerz die ästhetische Oberfläche der Inszenierung durchsticht. Das Drama steuert auf den Moment der Blendung von Ödipus zu: Der König, der nach langem Forschen erkennen muss, dass er doch genau die Verbrechen begangen hat, vor denen er sein Leben lang flüchtete, den Vater umzubringen und mit der Mutter zu schlafen, sticht sich die Augen aus. Bevor wir das aus dem Text erfahren, sehen wir in einer Videoprojektion den Regisseur, der sich mit Tränengas blendet, weint und sich vor Schmerzen krümmt, bis ihm ein Sanitäter hilft. Die mitleiderregenden Bilder sind lange tonlos, bis ein alter kirchlicher Gesang einsetzt.

Derweil kriechen unter der Projektion die Darstellerinnen der Nonnen schmale Treppen hinauf, als wären sie eine okkulte Gemeinschaft, die verborgenes Wissen hütet. Sie nehmen den Körper des Ödipus in Empfang und schieben ihn von oben nach unten, während Ursina Lardi endlich bei den Sätzen von Ödipus’ Erkenntnis angekommen ist, genau der geworden zu sein, der er nie werden wollte.

Das ist ein starkes und vielschichtiges Bild, von denen Castellucci in seiner Inszenierung einige gelingen. Dennoch prägen sie den Abend viel weniger als der Eindruck des Nichtzusammenpassenden und des Fremdelns mit dem Text. Wie das antike Drama ins Nonnenkloster kam? Dass man sich das nicht zu erklären vermag, wiegt weniger als die Enttäuschung, Hölderlins Text folgen zu wollen, aber es kaum zu schaffen. Die Schauspielerinnen, darunter Angela Winkler und Jule Böwe, müssen die eh in ihrer Semantik nur schwer zu begreifenden Zeilen sprechen und dabei zugleich der gleichmütigen Welt der Nonnen und der tragisch aufgewühlten des Dramas angehören. Zwei Sphären, die sich fremd gegenüberstehen und emotional auseinanderstreben. Das macht es mühsam, dem Abend zu folgen.

Was Castellucci antreibt, was ihn an den kommunikativen Störungen im Drama des Ödipus und besonders in der Bearbeitung von Hölderlin beschäftigt, das kann man im Programmheft nachlesen, in einem Gespräch mit den Dramaturgen. Das mit dem eigenen Erleben der Inszenierung in Deckung zu bringen, will nicht unbedingt gelingen. Aber vermutlich kommt es dem Künstler darauf auch gar nicht an. „Es geht mir nicht darum, das Theater den Menschen nahezubringen“, sagt er und fährt fort: „Für mich gründet ein theatrales Erlebnis immer auf einer gewissen Art ‚Stress‘. Der Zuschauer wird mit seinen eigenen Instrumenten alleine gelassen in erfundenen Problemen, die eigens für ihn kreiert worden sind. Theater ist ein profundes Erlebnis der geteilten Einsamkeit.“

Vielleicht wäre es einfacher, Bedeutung nicht zu suchen und sich den Bildern und Tönen zu überlassen, wären nicht so viele der von Castellucci benutzten Zeichen so traditionell christlich aufgeladen. So sucht man nach einem Ins-Verhältnis-Setzen zwischen dem Verhängnis des Ödipus und dem Sündenbegriff des Katholizismus, aber bekommt nichts zu greifen. Sodass man das Theater am Ende mit leeren Händen verlässt.

■ Wieder am 9., 10., 26., 27., 30. und 31. März, jeweils 20 Uhr