AMERICAN PIE

Der ehemalige Homerun-König McGwire gibt zu, gedopt zu haben – aus gesundheitlichen Gründen

Die Wahrheit, vorsichtig dosiert

Niemand konnte Mark McGwire dazu bringen, die Wahrheit zu sagen. Keine Horden von Reportern, kein Mannschaftskollege, nicht einmal eine Riege Parlamentarier. Nein, es war ein simples Jobangebot, das dem Mann, der Baseball rettete, die Lippen öffnete. Zwölf Jahre, nachdem er den begehrtesten Rekord im Baseball pulverisierte, neun Jahre nach seinem Rücktritt vom Leistungssport, fünf Jahre nachdem er sich vor einem Kongress-Ausschuss weigerte, „über die Vergangenheit zu sprechen“, hat McGwire endlich zugegeben, was längst alle wussten. Der Mann, der 1998 in einer einzigen Saison 70 Homeruns schlug, war mit Anabolika gedopt.

Der Grund für das späte Geständnis: Die St.Louis Cardinals, bei denen McGwire nach einigen Jahren in Oakland seine ruhmreiche Karriere als Profi beendete, möchten ihn als Trainer engagieren. Weil McGwire aber schon lange Doping unterstellt wird und sein neuer Arbeitgeber allzu große Diskussionen und Ablenkungen in der kommenden Saison verhindern will, bestanden die Cardinals darauf, dass er endlich mit der Wahrheit herausrückt. Der mittlerweile 46-Jährige soll als Hitting Coach den Profis in St. Louis beibringen, wie sie einen Baseball möglichst weit weg schlagen. Eine Kunst, die McGwire beherrschte wie kaum ein anderer. Eine Kunst, die McGwire, wie er nun zugab, aber erst mit dem Konsum unerlaubter Substanzen zur vollen Entfaltung brachte. In einem offiziellen Statement erklärte McGwire, dass er seit 1989 Anabolika verwendete, seit 1993 regelmäßig. Auch 1998, als er sich mit Sammy Sosa ein spektakuläres Rennen der Ballwegdrescher lieferte, das mit dem damaligen Fabelrekord von 70 Homeruns endete, stand McGwire unter Drogen. Dieser Zweikampf zwischen zwei Sympathieträgern war es, der dem zu jener Zeit kränkelnden Profibaseball exorbitante Einschaltquoten bescherte und ein neues Publikum erschloss.

An diesem Vermächtnis möchte McGwire trotz Geständnis nicht rühren. In einem dreiviertelstündigen TV-Interview kämpfte er zwar beständig mit den Tränen, nannte seinen Drogenmissbrauch aber nur „meinen größten Fehler“ und „eine Dummheit“. Die Anabolika habe er allein „aus gesundheitlichen Gründen“ eingenommen. Frustriert von Verletzungen, bereits über einen Rücktritt nachdenkend, hätte ihm das Doping die Gelegenheit gegeben, „meinen Körper wieder in seinen normalen Zustand zu bringen“.

Die Frage allerdings, ob die Anabolika seine Leistungsfähigkeit verbessert hätten, verneinte McGwire. Hätte er auch ohne die Steroide 70 Homeruns geschlagen? „Absolut, daran glaube ich fest“, so McGwire trotzig, „mir wurde die Begabung geschenkt, Homeruns zu schlagen.“ Diese Begabung lag lange brach. Seit seinem Rücktritt vertrieb sich McGwire die Zeit vornehmlich mit Golf. Heute sieht er sich nicht als Täter, sondern als Opfer der Umstände. „Es war die Ära, in der wir spielten“, sagte er mit tränenfeuchten Augen, „ich wünschte, ich hätte nicht in dieser Ära spielen müssen. Ich wünschte, es hätte Dopingtests gegeben.“

Gab es aber nicht. Deshalb gelten die Neunzigerjahre als drogenverseuchtes Jahrzehnt – nicht nur, aber vor allem im Baseball, wo erst 2003 ein eher lächerliches Test-Programm eingeführt wurde. Deshalb gibt es viele Fans, nicht mehr nur Traditionalisten, für die weiterhin die alten Rekorde zählen. Für viele ist nach wie vor Roger Maris, dem es in der Saison 1961 genau 61 Mal gelang, den Baseball aus dem Spielfeld zu befördern, der wahre Homerun-King. Auch dass der Betrüger McGwire, der nie überführte Sosa oder der mit Sicherheit gedopte Barry Bonds, der 2001 die Marke von McGwire auf 73 verbesserte, aus den Rekordlisten gestrichen werden, das fordern einige. „Dazu haben sie jedes Recht“, findet nun selbst Mark McGwire. THOMAS WINKLER