Staatliche Raketenbauanstalt

MILLIONEN FÜR MEDAILLEN, Teil 1 Im Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten wird der olympische Kampf um Millimeter mit allerhand Steuergeld vorweggenommen

Die Kundschaft: 20 Spitzensportverbände lassen im Institut für Forschung und Entwicklung FES in Berlin ihre Sportgeräte tunen, so zum Beispiel die Ruderer und Sportschützen, Kanuten, Bobpiloten oder Skeletonfahrer.

Das Sponsoring: Das FES hat keine direkten Sponsoren aus der deutschen Wirtschaft, allerdings darf der Windkanal von BMW schon mal kostenlos genutzt werden oder ThyssenKrupp hilft bei einer Stahllegierung. 4,8 Millionen Euro kommen vom Staat. (mv)

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Im weißblauen Lastkraftwagen mit Suhler Kennzeichen wird er angeliefert, der Zweierbob des deutschen Piloten André Lange. Der Schlitten mit dem blauen Chassis im Wert von etwa 100.000 Euro ist direkt aus den Bergen nach Berlin gefahren worden. Auch der Viererbob der Lange-Crew stand vor den Olympischen Spielen in Vancouver noch einmal in der Werkstatt des FES, des Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten.

In Berlin-Oberschöneweide, in einem Industriepark, arbeiten 60 Leute an Bobs, Rodelschlitten, Skeletonschalen und Schlittschuhen, darüber hinaus auch an Ruderbooten oder an Gewehren für Sportschützen. Es geht ums Material der Olympioniken, um den Feinschliff, das Optimum, und das ist heutzutage im Kampf um Hundertstel und Zentimeter oftmals entscheidend. Das FES ist eine Medaillenschmiede, keine Frage, doch dem Direktor des Instituts, Harald Schaale, einem ehemaligem Segler in der 470er-Klasse, geht es nicht um Plaketten, sondern um den viel zitierten Vorsprung durch Technik. Sagt er. „Wir orientieren uns an der Zehntelsekunde, die wir schneller werden wollen. Und dabei schaufeln wir keinen Wind um die Ecke oder schließen uns im Elfenbeinturm ein, sondern Forschung und Entwicklung müssen bei uns immer zweckgebunden sein.“ Das heißt: Messbare Erfolge müssen rausspringen, ebenjene Zehntelsekunden.

Erbe der DDR

Seit 1961 gibt es das Institut. Die DDR richtete es nach dem Mauerbau ein. Es war Teil des Projektes Staatssport. Es ging um einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Westen. Den haben sich die Technokraten des DDR-Sports teils mit Doping verschafft, teils mit Ingenieurskunst, dem sprichwörtlichen Hang der Deutschen zur Tüftelei. Am Anspruch hat sich seit den Tagen Manfred Ewalds, des Führungsoffiziers der „DDR-Diplomaten im Trainingsanzug“, nicht so viel geändert, sagt Harald Schaale, 57.

Das FES ist nach wie vor „Dienstleister im technologischen Sinne“ für die Athleten. In dieser „weltweit einzigartigen Einrichtung“ gehe es seit Jahrzehnten einfach nur darum, „der Beste zu sein“, Spitzenreiter im Friemeln und Schrauben, Schleifen und Fräsen. Das Sporttuning ist nicht billig. 4,8 Millionen Euro schießt der Staat jährlich zu. Davon gehen 600.000 Euro Miete ab, verbleiben also 4,2 Millionen.

Der Etat der Oberschöneweider Werkstätten wurde in den letzten Jahren aufgestockt. Der Bundesregierung ist die hochtechnisierte Ausrüstung ihrer Spitzensportler offenbar sehr wichtig. „Solange die Zielstellung besteht, dass Deutschland im Medaillenspiegel unter die ersten drei kommen soll“, sagt Schaale, „so lange sind wir unabdingbar und haben auch kein Legitimationsproblem.“ Während im FES die Ingenieure das Sagen haben, sind es im IAT, dem Institut für angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig, die Theoretiker. Beide Einrichtungen arbeiten eng zusammen. Auch das IAT ist ein Relikt des DDR-Sports, das den Steuerzahler 2009 etwa 5,9 Millionen Euro gekostet hat.

Nur einmal, im Jahre 1995, wurde ernsthaft über die Abschaffung des FES diskutiert. Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung fand sich der Vermerk „kw“, künftig wegfallend. „Man hat damals Angst gehabt, dass wir eine Konkurrenz für die Wirtschaft, vor allem für die Bootsbauer, werden“, erinnert sich Schaale. Doch eine Heerschar von Lobbyisten wendete das Ende des Instituts ab. 1996 verschwand der kw-Vermerk. Die Ingenieure konnten wieder ungestört Epoxidharz auf Kohlefasern aufbringen und Disbalancen im Tritt von Radsportlern ermitteln. „Unsere Arbeit ist doch eine Erfolgsgarantie“, wirbt Schaale, „wenn man das Know-how irgendwo einkaufen müsste, dann würde das 10-mal teurer.“ Mittlerweile wolle das FES niemand mehr missen, glaubt der Chef der Sportschmiede, der seit fast 29 Jahren mit dabei ist.

„Wir schaufeln keinen Wind um die Ecke, wir arbeiten nur zweckgebunden“

HARALD SCHAALE, FES-CHEF
Mathematische Kufe

Vor den Olympischen Winterspielen in Vancouver sind nur noch kleinere Arbeiten an Kufen und an der Bobverschalung zu erledigen, „ein paar Lackarbeiten“, sagt Schaale und streicht über das Verdeck des Lange-Bobs. Nebenan wird die letzte, vielleicht entscheidende Politur der Bobkufen vorgenommen. In einer Maschine der „Forschungswerkstatt Metall“ befindet sich so eine Stahlschiene gerade zum Feinschliff in einem Glaskasten. „Hier wird eine spezielle Mathematik auf die Kufe aufgebracht“, versucht Schaale den Vorgang zu erklären. Die Bobs sind im modernen Hochleistungssport ja keine Rumpelkisten mehr, nein, in ihren Formen gerinnen wissenschaftliche Erkenntnisse über Luftwiderstand und Metalllegierungen. Der aktuelle FES-Bob trägt die Nummer 407, ist Nachfolger des 406er-Modells, mit dem Lange auf holprigem Eis gar nicht zurechtkam. Der Thüringer hatte sich in der Folge in einen Bob der Marke Singer gesetzt. Das FES spornte dies an, die Hoppel-Eigenschaften des eigenen Bobs zu verbessern. Man hat das hingekriegt durch eine spezielle „Energieabsorbtion der Gesamthaube“. Schaale sagt: „Die Dämpfungseigenschaften von Werkstoffen sind ein bunter Blumenstrauß. Wir haben viel gelernt.“ Lange sitzt jetzt wieder im 407er, der Bob von Sepp Singer aus Au ist Geschichte, vorerst jedenfalls.

Das FES könnte den Bobpiloten speziell angepasste Kufen für jede beliebige Eisbahn auf dem Globus liefern – für Oberhof, Sigulda oder Whistler, mit Carving-Eigenschaften oder ohne. Dummerweise sind nur drei Kufensätze pro Saison erlaubt. Man muss sich also beschränken und Kompromisse eingehen. Das gilt allerdings nicht für die Olympischen Spiele. Ein Kufensatz wurde extra für die extrem schnelle Bahn in Whistler geschmiedet. Harald Schaale will nicht verraten, was das Besondere an dem Satz ist, verständlich, werden doch von der Konkurrenz bisweilen 20.000 Euro für ein einziges Paar geboten. Das FES geht auf solche Offerten natürlich nicht ein. Das Institut ist allein den deutschen Athleten verpflichtet und wehrt, so gut es geht, jede Art der Industrie- beziehungsweise Sportspionage ab.

„An so einem Bob können Sie ein Jahr lang arbeiten, ohne dass man es sieht“, sagt Harald Schaale über den blauen Staatsbob des Sportsoldaten Lange. Doch er weiß genau, an welchen geheimen Details gearbeitet wurde. „Im Sommer haben wir eine Rakete daraus gemacht“, sagt er. Ende Februar wird er wissen, ob die Rakete in der Bahn von Whistler gezündet hat.

Morgen, Teil 2: Über die Kampagne der Sporthilfe „Dein Name für Deutschland“