IN BRASILIEN WIRD DER FANKÖRPER ZUR WERBEFLÄCHE
: Extrem eingefleischt

Über Ball und die Welt

MARTIN KRAUSS

801 Tattoos in 24 Stunden! Gestochen an einem ganz besonderen Ort, dem Stadion Sao Januário des brasilianischen Fußballklubs Vasco da Gama! Welchem Fan des runden Leders hüpft da nicht das Herz vor freudiger Erregung?

Keinem. Doch damit Vasco da Gama mit dieser Aktion doch ins Guinnessbuch der Rekorde aufgenommen wird, lobt der Klub ein Honorar aus: Jeder, der sich das zum Klubwappen gehörende Templerkreuz eintätowieren lässt, erhält ein Trikot, auf dem dieses leicht geschwungene rote Kreuz prangt. Gewiss, Fußball und Tattoos sind keine ganz getrennten Welten. Die Akteure der englischen Premier League beispielsweise kann man sich kaum untätowiert vorstellen, von der ihnen zujubelnden tremendous british working class ganz abgesehen.

Und doch erschließt der Vorstand von Vasco da Gama Neuland. Denn bislang galt die unauflösliche Liebe eines Fans zu seinem Klub, die sich mal stärker und mal schwächer zeigt, aber sich nie jemand anderem zuwendet, bloß als interessantes kulturelles Phänomen. Von einer Frau oder einem Mann kann man sich trennen, sogar mit seiner Familie kann man brechen, und auch von einem geliebten Popstar oder einer politischen Überzeugung kann man sich abwenden – aber von seinem Fußballverein nie.

Dieses einzigartige und allenfalls mit der Monogamie der Schwäne vergleichbare Treuebekenntnis benutzt jetzt der Kapitalismus: Fans werden, wenn auch zunächst nur durch ein schlappes Klubtrikot, dafür bezahlt, dass sie zu ihrem Klub stehen, und zwar nur zu ihrem Klub und nie zum Konkurrenten – ein Alleingestelltwerdungsmerkmal in der Kurve.

Vasco-da-Gama-Präsident Carlos Roberto Oliveira, genannt „Dinamite“, erklärte, die Fans könnten so zeigen, wie „großartig“ ihr Klub ist. Dieses Geschwätz offenbart das Schlimme dieser Entwicklung. Bislang präsentierten Fußballfans nicht die Größe ihres Klubs, sie waren seine Größe. Ohne Fans kann ein Verein vielleicht mal Meister werden, aber nie wirklich groß. Dass bezeugt schon die Sprache: Es gibt zwar eingefleischte Fans, aber das Verb „einfleischen“ gibt es nicht. Jedenfalls nicht bis zur Aktion von Vasco da Gama.

Das Tattoo, das die Fans künftig einheitlich tragen, zeigt das Kreuzfahrersymbol. Das passt zwar halbwegs zur Klubgeschichte, denn der Verein wurde von portugiesischen Einwanderern gegründet, aber es passt nicht zum Image des Klubs: Er gilt als weltoffen, schon 1904 hatte Vasco da Gama einen schwarzen Präsidenten.

Obendrein konterkariert das jetzt in die Fans geritzte rote Kreuz die kulturelle Codierung des Tattoos: Das soll eigentlich Ausdruck individueller Kreativität sein und Beweis des Rechtes eines Menschen, über sich selbst zu verfügen. Zwangstätowierungen kennt man aus Legenden über pazifische Ethnien, und man kennt sie aus dem Nationalsozialismus. Was Vasco da Gama nun macht, ist zwar keine Zwangstätowierung, aber wie freiwillig Fans sich dieser körperlichen Normierung unterziehen, ist letztlich eine Frage des Preises. Bei entsprechender sozialer Not werden auch Spotthonorare akzeptiert, und schnell ist aus der Freiwilligkeit ein ökonomischer Zwang geworden.

Gewiss, man könnte einwenden, im Prinzip funktioniere das ganze Merchandising von Vereinen und auch in der Popindustrie so. Aber: Die Tattoos, die hier bislang feilgeboten wurden, waren Aufkleber, die man sich abwaschen konnte.

Der ungarische Philosoph Georg Lukács schrieb, dass das Wesen der Warenstruktur der Gesellschaft darauf beruht, „dass eine Beziehung zwischen Personen den Charakter einer Dinghaftigkeit und auf diese Weise eine ‚gespenstige Gegenständlichkeit‘ erhält“. Auf das Kreuztattoo trifft das zu: Die Fans glaubten, einen Fußballklub aus Menschen, in dem Stars wie Romário und Bebeto kickten, zu lieben. Doch ihre Liebe wurde ihnen abgekauft. Ihr Körper wurde, für alle sichtbar, zur vom Klubvorstand verwalteten Werbefläche, zum Ding im Lukác’schen Sinne.