Nur ein bisschen Anerkennung

OST UND WEST Immer noch gibt es drei Sportverbände, die nicht wiedervereinigt sind. Die ostdeutschen Bogenschützen, Angler und Motorsportler wollen nicht von den Großverbänden im Westen geschluckt werden

„Das waren juristische Gesellschaften. Man konnte gar nicht beitreten“

Harald Täger, Motorsportverband

VON MARTIN KRAUSS

Zwei Jahre zu früh kam die Wende. Oder ein Jahr. Aus Bogenschützensicht jedenfalls ungünstig, meint Stefan Lehmann. „Dreißig Jahre habe ich für diese Anlage gekämpft“, sagt er und zeigt aus dem Fenster. Draußen, vor der grauen Baracke mit dem Schild „Sportbüro“ an der Tür, befindet sich eine moderne Bogensportanlage. Sie gehört Lehmanns Verein, dem SV Bau-Union, und liegt an einer S-Bahn-Trasse im Berliner Bezirk Lichtenberg. „1990 schon wäre die Anlage fertig gewesen“, sagt der 59-jährige Hartz-IV-Bezieher, „dann kam die Wende, und ich musste weiter kämpfen.“ Stefan Lehmann ist Vizepräsident des Deutschen Bogenschützenverbandes, abgekürzt DBSV, gegründet 1959 in der DDR und irgendwie noch immer zum anderen deutschen Staat gehörend.

Drei Sportverbände sind es, die 1990 nicht ihrem Westpendant beigetreten sind: neben dem DBSV noch der Allgemeine Deutsche Motorsportverband (ADMV) und der Deutsche Anglerverband (DAV).

Günter Markstein ist 70 Jahre alt und erst seit sieben Monaten Präsident des ostdeutschen Anglerverbandes DAV. Ein Anglerfreund hat dem Mecklenburger zur Wahl gratuliert. „,Mein Präsident‘, sagt der zu mir“, erzählt Markstein, „ich habe geantwortet: ,Ich bin nicht dein Präsident. Ich bin beim DAV und du beim VDSF.‘“ Das ist der im Westen angesiedelte Verband Deutscher Sportfischer (VDSF), mit 650.000 Mitgliedern etwa viermal so groß wie Marksteins DAV. „Das hat der nicht geglaubt, ‚ich bin doch nie ausgetreten‘. Ich habe ihm gesagt, er soll mal in seinen Ausweis schauen, da steht: VDSF.“ Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern gehörte nämlich 1990 zu den wenigen DAV-Sektionen, die dem VDSF beitraten.

So kompliziert geht es zu in deutschen Gewässern. Ganz offiziell hatte der VDSF 1990 den DAV zum Beitritt aufgefordert – so wie es die anderen Sportverbände machten, so wie es die BRD mit der DDR machte. Doch das Gros der DDR-Angler wollte nicht. Mittlerweile ist das anders. „Ende 2011 sollen die technischen Formalitäten erfüllt sein“, erläutert Präsident Markstein, „und im Frühjahr 2012 soll die Fusion ganz offiziell vollzogen werden.“

So hat es nie einer der aufrechten DAV-Vertreter gewollt: Der Osten tritt dem Westen bei. „Das Wort Beitritt hat keinen guten Klang“, beschreibt Präsident Günter Markstein schlechte Wendeerfahrungen. Und der Funktionär Dieter Mechtel aus Brandenburg sagt, dass viele Mitglieder Angst haben: „Was wird aus unseren Gewässern? Was wird aus dem Gewässerfonds?“ Im Westen sind es nämlich die Vereine, die Gewässer bewirtschaften, und man darf nur im eigenen Vereinsteich fischen. „Unsere Philosophie aber lautet: Ein DAV-Mitglied darf auch in Gewässern anderer Landesverbände angeln“, sagt Mechtel nicht ohne Pathos.

Ein anderes Problem bei der Fusion ist die Frage, inwieweit Angeln ein Sport ist. Der VDSF aus dem Westen, seit Jahren im Clinch mit Natur- und Tierschützern, hat sich den Sportbegriff schon längst abgewöhnt. Der DAV aus dem Osten muss das noch lernen. Zwar organisieren und beschicken die Angler Weltmeisterschaften, und der VDSF ist Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Aber statt von „Sport“ spricht man lieber vom „Gemeinschaftsangeln“, bei dem man sich „vergleicht“.

Der westdeutsche VDSF ist anerkannter Umwelt- und Naturschutzverband – ein juristisch bedeutender Status. Bei einer Verschmelzung ginge der Status verloren. Daher läuft nun alles auf Beitritt hinaus. Und der DAV ist sehr damit beschäftigt, alles gut zu regeln – besser als es Lothar de Maizière und Günther Krause vor 20 Jahren gemacht hatten. Eine neue gesamtdeutsche Satzung soll her und ein neuer Name. Wenn nichts dazwischenkommt, wird es ab 2012 den Deutschen Angelfischer-Verband geben.

Ganz andere Strukturen

Auch der Allgemeine Deutsche Motorsportverband (ADMV) trug früher den Zusatz „der DDR“. Seine Geschäftsstelle ist ein Ladenlokal in der Berliner Wuhlheide, gegenüber der einstigen Pionierrepublik. Heute ist der ADMV in die Weststrukturen integriert. „Aber“, um die komplizierte Situation zu erklären, schenkt sich Harald Täger erst einmal einen Kaffee ein, „wir sind ein Verband zweiter Klasse.“

Seit 1978 ist der 59-Jährige hauptamtlicher ADMV-Funktionär. „Eine Vereinigung hätte gar nicht funktionieren können, weil wir in der DDR für viel mehr Sportarten zuständig waren“, erklärt Täger mit ruhiger Stimme. Im ADMV gab es Wasserski-, Motorboot- oder Oldtimerfahren. Im Westen hingegen war die Struktur komplett anders. Es gibt den riesigen ADAC mit über 17 Millionen Mitgliedern. Daneben noch den Automobilclub von Deutschland (AvD) mit 200.000 Mitgliedern und den Deutschen Motorsportverband (DMV), der sich um Motorradfahrer kümmert. Diese drei Westverbände hatten sich schon längst auf gemeinsame Strukturen geeinigt. „Das waren juristische Gesellschaften“, erklärt Täger, „die haben selbst entschieden, ob sie jemand aufnehmen. Man konnte gar nicht beitreten.“

1997 modelten die drei Westverbände ihre Strukturen um: Der Deutsche Motorsportbund (DMSB) wurde gegründet. Er ist Mitglied des DOSB, also können alle Verbände, die ihm angehören, an WM und EM teilnehmen. Der ostdeutsche ADMV stellte einen Aufnahmeantrag. „Satzungsmäßig sind wir seit 1998 gleichberechtigtes Mitglied“, sagt Täger, aber sein Verband mit seinen noch 10.000 Mitgliedern, zur Wende waren es 65.000, sei völlig unterrepräsentiert. Und unbemerkt: Beim Deutschen Olympischen Sportbund in Frankfurt/Main etwa kennt man im Motorsport gar kein Vereinigungsproblem: „Es gibt wohl noch einen Motorsportverband im Bereich der ehemaligen DDR, dessen Bedeutung jedoch eher gering zu sein scheint.“

In den Blechregalen der ADMV-Geschäftsstelle finden sich die Triumphe der Vergangenheit: Pokale, Wimpel, Urkunden. „Bis 1972 hat der ADMV an allen WM und EM teilgenommen“, sagt Täger „ausgenommen da, wo wir nichts zu bieten hatten: Formel1 etwa.“ Sonst fuhren die DDR-Sportler fast überall mit, gewannen etliche Titel. 1971 beschloss die DDR-Sportführung, nur noch solche Disziplinen zu fördern, mit denen sich olympisches Renommee erheischen ließ. „Da gab es einen Aufschrei“, erinnert sich Täger. Es kam zu einem Kompromiss: Der ADMV durfte weiterhin an WM und EM teilnehmen, aber nur mit solchen Fahrern, die bei den DDR-Autofabriken angestellt waren. „Heute würde man das Werksfahrer nennen“, sagt Täger und überlegt kurz: „Oder auch Profis.“

Nennenswerte sportliche Erfolge seines Verbands kann Täger seit 20 Jahren nicht mehr verkünden. Fürs Aufgeben sieht er aber keinen Grund. Der ADMV hat alles im Angebot, was der ADAC auch bietet, sagt er: Motorsport und Serviceleistungen. „Wir haben einfache Strukturen, wir besetzen eine Nische, aber diese Nische ist ordentlich.“ Und, fügt er hinzu, „für mich gibt es keinen Grund, in den ADAC einzutreten.“

Die WM ist in Westhand

„Ja, ich bin im Deutschen Schützenbund“, sagt Stefan Lehmann. Auf seine Doppelmitgliedschaft im großen West-DSB und im kleinen Ost-Verband der Bogenschützen DBSV legt er Wert. Gerne reist er als Schiedsrichter zu WM und EM, entsandt vom DSB. Sein kleiner DBSV gehört nämlich nicht dem Olympischen Sportbund DOSB an – und gilt folglich nur als Anbieter von Freizeitsport. Bis 1990 war das anders. Der DBSV der DDR war Mitglied im Weltverband FITA und überall dabei. „Wir sind nie aus der FITA ausgetreten oder ausgeschlossen worden“, sagt Lehmann. „Wir werden nur nicht mehr als Mitglied geführt.“

Im Westen wird das Bogenschießen unter dem Dach der Schützen im DSB organisiert – mit anderthalb Millionen Mitgliedern einer der Riesen im DOSB. „International tritt der DSB als ‚German Shooting and Archery Federation‘ auf. Diese Übersetzung ist gegen deren eigene Satzung!“, regt Lehmann sich auf.

„Viele westdeutsche Bogenschützen kamen auf uns zu“, erinnert er sich an die Wendezeit. „Die sagten: ,Kommt, lasst uns einen eigenen Bogenschützenverband bilden.‘“ Doch der DSB verlangte, dass sich der DBSV auflöst und seinen Strukturen beitritt. Dazu wäre der DBSV aber nur als weiterhin eigenständiger Verband bereit gewesen. Bis heute beharrt der DSB auf seiner Haltung, teilt aber mit, ein Beitritt der Bogenschützen stünde nicht oben auf der Agenda.

Für Lehmann ist damit klar: „Die sitzen das aus.“ Sein Verband ist klein, wächst aber: Von 2.000 Mitgliedern zur Wende auf mittlerweile 6.000. Einige Landesverbände im Westen gibt es, die DBSV-Geschäftsstelle sitzt sogar in Hamburg. „Und wer sich für Bogenschießen interessiert, der ruft immer beim DBSV an“, sagt Lehmann.

Eine Fusion der Verbände steht nicht an, Zusammenarbeit gibt es aber. Im Jahr 2007 fand in Leipzig die Bogenschützen-WM statt. Offiziell organisiert vom DSB. „Die WM wurde von beiden Verbänden ausgerichtet“, sagt Stefan Lehmann. Das sieht man beim DSB ähnlich. An den DBSV-Präsidenten Wolfgang Kalkum richteten die Sportschützen 2007 ein Dankesschreiben: Dass die WM als „beste Veranstaltung dieser Art aller Zeiten“ gilt, sei auch das Verdienst des Konkurrenzpräsidenten. So etwas ist Balsam für Stefan Lehmann und seine Bogenschützen.

Ein bisschen Anerkennung.