Zwischen Fans, Presse und Präsidium zerrieben: Die Vertreibung aus Magdeburg

Der Ex-Kapitän des 1. FC Magdeburg wurde von den eigenen Fans Zuhause bedroht, dann aus dem Verein gedrängt. Clubfans beschimpfen Daniel Bauer als "Bastard".

Ist in Magdeburg nicht mehr erwünscht: Daniel Bauer. Bild: dpa

MAGDEBURG taz | Vermutlich ist der letzte Akt nun angebrochen. Wobei Daniel Bauer an das sich abzeichnende Ende noch gar nicht recht glauben mag – an die von ihm jetzt angestrebte Vertragsauflösung. Sein Berater und der Verein sind sich noch nicht einig geworden. Bauer sagt: "Es ist Wahnsinn. Es ist eine never ending story. Alles läuft ständig so, wie es nicht laufen sollte."

Die Fassungslosigkeit darüber steht ihm in sein schmales Gesicht geschrieben. Der 29-jährige Fußballer des 1. FC Magdeburg sitzt in einer Espressobar im Zentrum von Magdeburg. Gegenüber im verspielten Hundertwasser-Gebäude wird im dort ansässigen Boulevardtheater leichte Unterhaltung angeboten. Was Bauer hingegen erzählt, ist schwere Kost. Eine Tragödie. "Die Vertreibung aus Magdeburg" könnte sie heißen.

Genauso, sagt er, nehme er das seit Mittwochabend wahr. Da habe er endgültig realisiert, dass der Abschied unvermeidlich sei, obwohl er sich doch nichts zuschulden habe kommen lassen. Er verließ heute das Haus, meldete sich bei seinem vom Verein gestellten Wachschutz ab und fuhr noch einmal quer durch die Stadt.

"Das hat sich komisch angefühlt", berichtet der Mittelfeldspieler. Viele Erinnerungen kamen hoch. Drei Jahre war er hier. Seine Freundin lebt und studiert in Magdeburg. "Ich habe mich wohlgefühlt", betont Daniel Bauer.

Schlagartig und grundlegend geändert hat sich das erst vor gut drei Wochen, in den Abendstunden des 27. Oktober. Über die Haussprechanlage wurde er, wie Bauer berichtet, vor sein Haus gelockt.

Die Klingel der Nachbarin, die sich eine Pizza bestellt habe, so hieß es, sei kaputt. Als er die Eingangstür öffnete, sah er sich zehn vermummten Gestalten gegenüber, die blau-weiße Sturmhauben aufhatten. Deren Drohung lautete: Das Derby in drei Tagen gegen Halle müsse gewonnen werden, ansonsten würde Bauer erneut Besuch bekommen.

Fangewalt gegen Spieler

Schnell machte die Geschichte in ganz Deutschland die Runde. Der Fall Bauer schien zu beweisen, dass eine neue Gewaltbereitschaft unter den Fußballfans erwachsen ist. Bauer war das exemplarische Opfer.

Aber der Fall Bauer passt in keine Generaldebatte. Er hat seine eigene Geschichte mit bizarren Auswüchsen. Auch wenn in Magdeburg anfangs alle einhellig den Hausbesuch der Vermummten schärfstens verurteilten, rückte der im Verlaufe der vergangenen drei Wochen bei einigen schnell in den Hintergrund.

Mittlerweile sehen sich hier viele als Opfer. Nicht nur Bauer, sondern auch etliche Fans und Vereinslenker, insbesondere FCM-Präsident Peter Fechner. Sie beklagen die vielen Interviews von Bauer und den großen Imageschaden, den der 1. FC Magdeburg erlitten habe. Für sie alle ist Bauer Opfer und Täter zugleich. Manche sehen ihn nur als Täter.

Neue Drohungen

In Fanforen wird er derzeit als "Märchenonkel" und "Bastard" beschimpft, der Glück habe, dass er bislang nur verbal drangsaliert worden sei. Bauer stellt klar: "Ich hatte in den letzten Wochen 50 Presseanfragen und habe drei angenommen und natürlich kein Geld dafür bekommen, wie mir unterstellt wird."

Der Mittelfeldspieler wird indes nicht nur angefeindet. Zuletzt, hebt er hervor, habe er auch viele positive und aufmunternde Fanzuschriften erhalten. Dieser Umstand sowie die engagierten Bemühungen der beiden Vizepräsidenten Hagen Hoffmann und Guido Nienhaus, ihn zum Bleiben zu bewegen, überzeugten Bauer vergangenes Wochenende nach 14 Tagen Sonderurlaub, es noch einmal in Magdeburg zu versuchen.

"Ich dachte, es könnte noch einmal etwas werden." Gegenüber der Presse wurde Stillschweigen vereinbart. Doch bereits am Dienstag torpedierte Präsident Fechner diese Abmachung. In Reaktion auf ein sieben Tage altes Interview, in dem Bauer ihn aufgrund fehlender Rückendeckung mitverantwortlich für den Vorfall in Magdeburg macht, teilte Fechner der Volkststimme, seinem Hausblatt, mit: "Ich habe kein großes Interesse daran, einem Spieler zu begegnen, der die Unwahrheit gesagt und mich bundesweit beschädigt hat."

Private Meinung

Dass dieser Satz Bauer nun zum Abgang bewege, verstünde er nicht wirklich, bekennt Vize Hoffmann. Die sportliche Leitung hätte sich doch hinter ihn gestellt. "Was Fechner sagt", erklärt Hoffmann, "ist seine Privatmeinung und deckt sich nicht mit der des Präsidiums." Eine deutliche Distanzierung, die aber nicht mehr weiterhilft.

Zumal auch von anderer Seite quergeschossen wurde. Der Fanprojektleiter Jens Janeck, der sich laut Bauer nie mit ihm über den Angriff aus der Fanszene unterhalten hat, bezeichnete den vom Verein gestellten Personenschutz als "absurd".

Bauer sieht sich wieder einer Atmosphäre ausgesetzt, in der gegen ihn gerichtete Fan-Aggressionen prächtig gedeihen können. Und dieses Gefühl führt ihn gedanklich wieder zum Beginn dieser traurigen Geschichte, die wenige Wochen vor dem Besuch der vermummten Fans ihren Anfang nahm.

Übelste Beschimpfungen mussten sich Bauer und sein Team von einigen erbosten Fans gefallen lassen. Der Verein, der 1974 den Europapokal der Pokalsieger holte, spielt zwar in einer erstklassigen Arena, steht aber derzeit auf einem Abstiegsplatz in der Regionalliga.

"Spieler sind Freiwild"

Bauer, damals noch Mannschaftskapitän, verwehrte sich öffentlich gegen die Pöbeleien, was seine Beliebtheitswerte steil fallen ließ. Zudem fühlte sich die Mannschaft von der Vereinsführung im Stich gelassen. In der Kabine, erzählt Bauer, habe das Team einen Artikel aus der Volksstimme aufgehängt, in dem Präsident Fechner gefordert hatte, man müsse sich mit denjenigen auseinandersetzen, die nicht gewillt seien, alles für den Verein zu geben.

Aus Protest hatte ein Spieler darüber geschrieben: "Spieler sind Freiwild". In der Bild-Zeitung wurde Fechner in der Woche des Fanübergriffs mit dem Ausspruch zitiert: "Sandhowe [der damalige Trainer] und Bauer sollen nicht jammern, denn wir haben die besten Fans der Welt."

Intern dementierte Fechner zwar diesen Ausspruch sofort, öffentlich aber erst viel später. Als Trainer Wolfgang Sandhowe entlassen wurde, verlor Bauer unter dem neuen Coach Ronny Thielemann sein Kapitänsamt, "um ihn zu schützen", wie es heißt.

Populär war diese Maßnahme in jedem Fall. Und das bedeutet nicht wenig beim 1. FC Magdeburg, bei dem die treuen Fans das einzig verbliebene Kapital sind. Wohl auch deshalb versuchte man den Hausbesuch der vermummten Fans zu verschweigen, der am gleichen Tag stattfand, an dem man ihm die Binde abnahm.

Brandstifter

Auf der Homepage gab man damals hernach bekannt, "aus familiären Gründen" könne Bauer beim Spiel gegen Halle nicht mitmachen. Dem MDR-Reporter steckte man von Vereinsseite, Bauers Mutter wäre krank. Der Getäuschte verbreitete diese Info im Fernsehen gleich weiter. Bass erstaunt hörten dies Daniel Bauer und seine Mutter vor dem Bildschirm.

Bauer fasst das Erlebte so zusammen: "Genauso traurig wie der Vorfall vor meiner Haustür sind die Folgereaktionen." Und er fügt hinzu: "So wie es jetzt aussieht, gibt es in dieser Geschichte nur Verlierer." Ganz stimmt das nicht. Die Fans, die Bauer bedrohten, haben diesen letztlich vertrieben und dürften sich im Nachhinein recht mächtig fühlen. Sie sind die Brandstifter.

Geholfen haben ihnen Biedermänner, denen es eigentlich nur um das vereinseigene Image ging und die damit die engagierte Arbeit anderer kaputtmachten.

Präsident Fechner glaubt allerdings nach wie vor, alles richtig gemacht zu haben. Er sagt: "Ich bin nicht nachtragend. Daniel Bauer kann sich jederzeit bei mir entschuldigen."

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