Schmutziger Sport: Die Zivilisation hat Pause

Bei der Deutschen Meisterschaft im Moorfußball trafen sich 550 Menschen in der Nähe von Osnabrück, um sich gemeinsam im Dreck zu wälzen. Was brachte sie dazu?

Vereint im Dreck: So sehen Sieger aus. Bild: Uwe Lewandowski

HAMBURG taz | Wenn vom Ball erst mal der Dreck weg gespritzt ist, und er unter dem Himmel fliegt, sieht er für einen Moment aus wie einer der Vögel, die über dem Alfsee kreisen. Lagerfeuer, Alkohol, Marketenderinnen, Blut, dreckige Männer mit Zahnlücken, der Geruch nach gegrilltem Fleisch: Sportveranstaltungen auf dem Land haben was vom 30-Jährigen Krieg.

In Rieste am Alfsee, 30 Kilometer nördlich von Osnabrück entfernt, veranstaltete Karsten Lammers am Wochenende die Ersten Deutschen Meisterschaften im Moorfußball: sechs Frauen- und 27 gemischte Teams, insgesamt etwa 550 Spieler, machten mit. Es wurde nicht im Moor gespielt, sondern auf Maisfeldern, die zweckentfremdet wurden. Der Trecker war am Samstag noch mal auf den Äckern, um tiefe Furchen zu ziehen, damit das Spiel seine Berechenbarkeit und damit fast jede Rationalität verliert, und die Feuerwehr Rieste, auf die angewiesen zu sein an diesem Wochenende nicht geraten schien, spritzte Wasser drüber.

Johanna, 18, aus Euskirchen bei Köln, findet den Platz, auf dem sie gerade gespielt hat, „nicht moorig genug“, und wünscht sich „mehr Wasser, mehr Moor“. Das kann Lammers nicht versprechen, „aber ihr kriegt das nächste Mal einen anderen Platz“. Johanna nickt: „Dann ist ja gut.“

Um die Frage zu beantworten, warum mehr oder weniger erwachsene Menschen weit entwickelter Industriegesellschaften jauchzend in die Pfützen eines Ackers springen, sich in ihnen wälzen, bis zum Knie im Moor versinken, beim Essen und Trinken kleine Krumen der Scholle, auf der sie kicken, verschlucken, müssen wir weit zurück gehen. Bis zur Faszination, die der menschliche Kot auf uns ausübt. Die Abscheu, der Ekel, ist die soziale Überformung der Faszination, der nachzugeben verboten ist.

Nur sehr junge, sehr kranke und sehr alte Menschen dürfen sich ihrem Kot widmen, der Rest muss sublimieren. Sport, gerade Fußball, ist eine sozial anerkannte Möglichkeit, sich mal richtig einzusauen: „Moor than a game.“

Da machen sich einige Jungs auf dem moorigsten Platz in Rieste warm. Der Torwart schmeißt sich voll rein, das Moor schmatzt, wenn er drauf plumpst, noch mal rein, noch mal rein, noch mal rein. Dann wälzt er sich wie ein Ferkel, seine Mitspieler werfen sich auf ihn. Draußen jubeln die Mitglieder der Feuerwehr Rieste, die nicht im Dreck liegen. Der Keeper sieht aus wie der Golem. Ein Tor ist gefallen, das Spiel hat noch nicht angefangen.

Moorfußball ist eine Auszeit von der Verpflichtung zur Hygiene, dem Gebot der Sauberkeit, die Zivilisation hat Pause, schmutzig sein wird zur Pflicht und „schmutzig“ hat im Deutschen – je protestantischer die Gegend umso mehr – moralische Bedeutung.

Es wird viel Bier getrunken, junge Frauen trinken Eierlikör, der selbst gemacht aussieht, und singen. Wenn die jungen Männer durch den Dreck robben, könnte man meinen, dass ihr Verhältnis zu Mutter Erde inzestuöse Züge aufweist. In den weichen Stellen auf dem Spielfeld zieht es einem der Jungs den Schuh aus, und der Acker verschluckt den Ball und mag ihn nicht mehr hergeben. Die Spieler ziehen sich gegenseitig aus dem Schlamassel, wer zu welcher Mannschaft gehört ist nach kurzer Zeit nicht mehr zu erkennen.

Es kann passieren, dass der Ball nach einem Schuss der Mannschaft namens „Voll daneben“ mit großem Tempo angeflogen kommt, die Jungs und die Fans von Voll daneben jubeln, und kurz vor der Torlinie vom Team Liepert Blitzschutz aus Rastede platscht die Kugel ins Moor und verhungert. Der Fußball, an dessen Berechenbarkeit alle arbeiten, die mit ihm Geld verdienen, wird wieder willkürlich wie zu Beginn, als englische Dörfer gegeneinander spielten. Der Keeper von Voll daneben, ein Klumpen Dreck auf zwei Beinen, schmeißt sich auf den Ball. In den Pfützen schwappt eine brackig-braune Flüssigkeit, leicht schaumig, in der der Ball schwimmt.

Schiedsrichter Valentin, 25, Lagerist, SV Alfhausen, pfeift normalerweise Bezirksliga, erklärt, während er das Spiel souverän leitet, die Regeln des Moorfußballs: „Tore sind 2,40 bis 2,50 Meter hoch, fünf Meter breit, kein Abseits, kein verbotener Rückpass, das Feld 60 auf 35 Meter, keine Stollen, zwei Mal zehn Minuten, Torwart plus fünf Feldspieler, fliegende Einwechslungen von der Mittellinie, Strafstoß, Eckstoß und Einwurf aus der Hand, Freistoß, Eckstoß und Einwurf indirekt. Hey, pass auf.“

Ein Ball fliegt in unsere Richtung und lässt eine Pfütze spritzen. Valentin, der außerhalb des Spielfelds steht, springt zwei Meter zurück. Kein Fan von Dreck.

Die Tore sind aus PVC-Kanalrohrstücken zusammengesteckt. „Die tun es auch“, sagt Lammers. Auf dem Platz drüben zwei Frauenteams. Johanna hat Recht, kein richtiger Dreck. Das Team Moormonen aus Rieste, Lokalmatadoren, mit ihrem smarten Trainer José Moorinho, bereiten sich aufs nächste Spiel vor.

Eine Mannschaft – das hat Stil – trägt weiße Shirts und weiße Stirnbändern. Auf dem moorigen Platz wargeln sie schon wieder durcheinander. Wir sehen überragende Torhüterleistungen, beide tragen eine Brille. Die Mannschaft Voll daneben widerlegt ihren Namen und gewinnt mit 2:1.

Draußen wuschelt ein junger Mann einer jungen Frau mit moorigen Fingern die blonden Locken. Männer sitzen auf Bierkisten, Frauen auf Decken. Es ist kalt. Der DJ steht in einem Zelt, vor ihm seine Lautsprecher, er spielt „Thunderstruck“ von AC/DC. Die Schnüre, die das Zelt halten, zittern.

Kopfbälle kosten mehr Überwindung als alles andere, Ralf, Torwart der dritten Männermannschaft der TuS Neuenkirchen, gräbt den Ball aus dem Boden. Es ist wie ernten. Ralf ist gut, aber gegen die Männer des FC Feldklause haben die Neuenkirchner keine Chance. Feldklause ist eine Thekenmannschaft aus Mesum.

Die Feldklause gibt es nicht mehr, die Mannschaft schon. Stefan Uckelmann, 25, studiert Kommunikationsmanagement in Osnabrück, ist ihr Kapitän und sagt: „Unser Ziel ist Finnland.“ Dort findet die WM im Moorfußball statt. Die ersten drei Spiele haben die Mesumer gewonnen. “Das ist sehr anstrengend“, sagt Uckelmann, „man unterschätzt das. Und ständig Überraschungen. In der Mitte ist es wie Fußball, am Rand nicht, man weiß nie, wo der Ball landet, oder der Fuß.“

Die Mesumer haben drei Wohnungen mit insgesamt zehn Betten gebucht, da wird, bei 18 Fußballern, nicht jeder ein eigenes Bett bekommen. „Wir gehen in jedem Fall zur After-Show-Party“, kündigt Uckelmann an – es braucht womöglich keiner ein Bett.

Man sieht sofort, wer mit Liebe moort und wer nicht. Es gibt Spieler und Spielerinnen, die versteifen angesichts des Drecks, andere können nicht tief genug drin stecken.

Gleich sind die Schwedsberg Kickers aus dem staatlich anerkannten Erholungsort Ankum dran. Alle Spieler haben die Nummer 13. Schöner Gag. „Es gab keine anderen Nummern mehr“, sagt Jens, 20, Azubi. Zu Hause in Ankum kicken sie auf einem Rasen. „Wenn’s schüttet“, nickt Jens, und so wie er es sagt, tut es das oft, „ist unser Platz fast genauso.“ Dann nimmt er einen Schluck Bier. In der Flasche schwimmt Erde. Moor geht nicht.

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