Über Ball und die Welt: Kollaborateure im eigenen Strafraum

Ein russischer Film verärgert die Ukraine. „Match“ erzählt die Geschichte eines Fussballspiels zwischen dem Betriebsteam einer Kiewer Brotfabrik und der Flak-Elf der Luftwaffe.

Für die sowjetische Mannschaft, FC Start, spielten beim „Todesspiel“ 1942 acht Spieler der Spitzenklubs Dynamo und Lokomotive aus Kiew. Bild: screenshot: youtube.de

Schau an, die Ukraine. Jetzt legt sich der Mitveranstalter der Euro auch noch mit Russland an. Dort ist nämlich ein Fußballfilm namens „Match“ angelaufen, und das ukrainische Kulturministerium hat ernsthaft überlegt, ihn zu verbieten; vorläufig ist er nur für Zuschauer über 18 Jahre erlaubt.

Der Konflikt hat viel damit zu tun, wie genau sich die Ukraine und Russland der Weltöffentlichkeit bei der Euro präsentieren wollen – und auch damit, was das mit Deutschland zu tun hat. Das „Match“, von dem der Film erzählt, ist ein Fußballspiel, das Todesspiel: Im August 1942 trat die Betriebsmannschaft einer Kiewer Brotfabrik, in der acht Spieler der Spitzenklubs Dynamo und Lokomotive kickten, gegen die sogenannte Flak-Elf der deutschen Luftwaffe an.

Der Schiedsrichter war ein SS-Mann, und der habe den Sowjets unmissverständlich mitgeteilt, dass sie zu verlieren hätten. Die sowjetische Mannschaft, FC Start hieß sie, gewann aber mit 5:3: Acht Spieler, allesamt Ukrainer, seien sofort verhaftet worden, einer umgebracht, die anderen in ein Arbeitslager gekommen. Ob die Geschichte sich wirklich so abgespielt hat, ist nicht sicher; viele Historiker halten sie für unwahrscheinlich.

Aber Stoff für Filme gab sie schon immer her: Nicht nur die Hollywood-Produktion „Flucht oder Sieg“ (1981) von John Huston mit Schauspielern wie Sylvester Stallone oder Max von Sydow und Fußballern wie Pelé oder Bobby Moore. Auch in der Sowjetunion wurde 1962 ein Spielfilm, „Die dritte Halbzeit“, über das Ereignis gedreht.

Im Jahr 1965 zeichnete das Präsidium des Obersten Sowjets sechs Überlebende des Todesspiels mit der Medaille „Für kämpferische Verdienste“ aus, vier Spieler wurden postum mit der Medaille „Für Tapferkeit“ geehrt. Und auch vor dem Kiewer Dynamo-Stadion, wo am 1. Juli das EM-Finale stattfinden wird, stehen drei Skulpturen, die an die Geschichte erinnern.

Befehl des deutschen Kommandeurs
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Ein großer Mythos also. Warum sollte die ukrainische Regierung einen solchen Film verhindern wollen? Vielleicht, weil sie, wie es derzeit so oft gefordert wird, die Politik aus dem Fußball heraushalten will? Ziemlich sicher nicht. Es sind zwei Dinge, die die Regierung in Kiew stören: dass nämlich, erstens, „Match“ auch die Rolle ukrainischer Kollaborateure behandelt.

In einer Szene befiehlt ein deutscher Kommandeur: „Lasst sie die Erschießung übernehmen“, und die lokalen Polizeikräfte mit gelb-blauen Armbändern, die ukrainische Nationalfarben, führen den Befehl willig aus. Und dass, zweitens, der Film heimische nationalistische Fans provozieren könnte. Gerade gegen die deutsche Mannschaft, die ja ihre Vorrunde in der Ukraine ausspielt, könnten sich die Aggressionen richten.

Einerseits befürchten die Behörden also, der Film zeige die Ukraine zu sehr als Täter, andererseits aber, sie werde zu sehr als Opfer dargestellt. Das klingt absurder, als es ist. Der deutsche Journalist Olaf Sundermeyer zeigt in seinem neuen Buch „Tor zum Osten“ eindringlich, wie Hitler-Verehrung und nationalistisch aufgeladenes Fußballfantum zusammenpassen.

Er zitiert den ukrainischen Sportjournalisten Artem Frankow: „Es hat den Anschein, dass einige Leute denken, schade, dass Deutschland uns nicht seit dem Krieg besetzt hat, sodass wir heute gutes deutsches Bier trinken würden.“ Fußball ist also mehr als nur Film.

Moralische Überlegenheit der Opfer

Die Erzählung vom Todesspiel soll die moralische Überlegenheit der Opfer und späteren Gewinner des Zweiten Weltkriegs belegen. Die Realität aber zeigt, dass es die Verlierer des Zweiten Weltkriegs sind, die als Favorit zur Euro reisen und nebenbei Politik und Wirtschaft des Kontinents dominieren.

In der ukrainischen Kritik an „Match“ schwingt also auch der Vorwurf an den russischen Nachbarn mit, da könne man doch sehen, wie weit man kommt, wenn man sich immer nur als heroisches Opfer präsentiert. Man müsse doch auch mal Täter sein und einfach mal schießen – und sei’s auf gegnerische Tore. Stellt sich nur die Frage, wer diese historische Lehre in die Welt gesetzt hat.

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Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte

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