Der Bescheidene

Das Anforderungsprofil war klar: Nach dem Kreuzbandriss von Handball-Nationalkeeper Johannes „Jogi“ Bitter brauchte der HSV Hamburg kurzfristig einen erfahrenen Torhüter ohne übertriebene Ambitionen oder schwierigen Charakter. Die Rolle als Ergänzung zum zweiten HSV-Keeper Dan Beutler wird voraussichtlich bis Ende des Jahres Enid Tahirovic einnehmen.

Der 39-Jährige stand in den vergangenen vier Jahren und 133 Bundesligapartien beim Ligakonkurrenten Frisch Auf! Göppingen zwischen den Pfosten und war außerdem Kapitän und Stammtorhüter der bosnischen Nationalmannschaft. Zufrieden über so viel Routine in der Hinterhand zeigte sich nach der Verpflichtung HSV-Trainer Martin Schwalb: „Tahirovic bringt die Erfahrung und Klasse mit, um uns sofort weiterzuhelfen. Er passt perfekt in unser Anforderungsprofil.“

Zu welchen Leistungen der 39-Jährige noch fähig ist, spürte Anfang Juli die deutsche Handballnationalmannschaft: Zwar konnte sie sich in der WM-Qualifikation denkbar knapp gegen Bosnien-Herzegowina durchsetzen. Aber gerade im Rückspiel in Sarajevo brachte Tahirovic die DHB-Auswahl einige Male an den Rand der Verzweiflung.

Mit Frisch Auf! gewann der Vater eines Sohnes zuletzt auch zwei Mal hintereinander den EHF-Pokal. „Seine Klasse hat er oft genug bewiesen“, weiß auch sein neuer Trainer Schwalb. Ein weiterer Pluspunkt: Aller Erfahrung und der erfolgreichen Karriere des Neuen zum Trotz muss sich Schwalb keine Sorgen um einen hitzigen Kampf um Stammplätze nach der Rückkehr von Johannes Bitter machen.

Vor der Anfrage aus Hamburg hatte Tahirovic die Handballschuhe schon fast an den Nagel gehängt. „Es ist eine große Ehre für mich, für einen Verein wie den HSV spielen zu dürfen. Das ist ein schöner Abschluss meiner Karriere“, erklärte er auf der Antrittspressekonferenz und gab sich bescheiden. „Ich werde alles geben, um Dan Beutler im Tor zu unterstützen und Jogi Bitter, solange er noch ausfällt, zu ersetzen.“

Bei spontanen Ausfällen auf erfahrene Keeper im Winter ihrer Karriere zurückzugreifen, ist in der Handball-Bundesliga keine Seltenheit. Bereits im März sprang der 45-Jährige Zoran Djordjic für Johannes Bitter ein, schon 2009 half der damalige Geschäftsführer und Ex-Nationalkeeper Axel Geerken als „geschäftsführender Torwart“ bei der HSG Wetzlar aus. Anders als im Fußball nämlich ist ein relativ hohes Alter im Handballtor kein großes Problem: Mindestens so wichtig wie gute Reflexe sind ein guter Blick für den Werfer und routiniertes Stellungsspiel. BIRK GRÜLING