DEUTSCHES WEMBLEY
: Das ganze Land in einem Spiel

Über Ball und die Welt

MARTIN KRAUSS

Soooo ungewöhnlich ist es ja nun auch nicht, dass zwei Clubs aus demselben Land das Finale der Champions League bestreiten. 2000 war das Endspiel innerspanisch, 2003 inneritalienisch, 2008 innerenglisch und 2013 eben innerdeutsch. Ist halt so.

Neu ist aber, dass ausgerechnet in dem Land, aus dem die Finalisten kommen, vergessen wird, dass es sich um etwas Europäisches handelt. Sogar das Fachblatt Kicker schreibt von „unserem Pokal“ und malt sein Cover schwarz-rot-gold an. Nicht, dass es in Spanien, Italien oder England keinen Nationalismus gäbe, aber ähnliche Anwandlungen fanden sich dort nicht.

Wie kommt das? Mit Bayern und dem BVB spielen die großen Konkurrenten der vergangenen Spielzeiten gegeneinander, die gerade durch ihre Rivalität beinahe ganz Deutschland auf sich vereinen. Es ist, wie man beim marxistischen Philosophen Antonio Gramsci lernen kann, genau diese Konkurrenz, die für eine gemeinsame Bayern-BVB-Hegemonie sorgt. Eine Fundamentalopposition, die beide nicht mag, erlaubt der Diskurs nur zu dem Preis, dass man sich vom Fußball zu verabschieden hat – man müsse doch zu einem einen halten.

Für die einen ist Bayern der reiche Marktführer, der alles wegkauft; für die anderen ist es der solide geführte Verein. Dortmund-Fans sehen ihren BVB als Team dersympathischen Youngster; andere erinnern an Börsengang und Fast-Insolvenz. Bayern gilt als der Verein der Konservativen, von Merkel bis Seehofer sind sie alle bekennende Bayern-Fans. Der BVB gilt als Club der sozialdemokratischen Modernisierer, Gerhard Schröder und Peer Steinbrück zeigen sich gerne mit schwarz-gelben Schals.

So entsteht ein hegemonialer Block, oder anders formuliert: Das diesjährige Champions-League-Finale ist eines, indem eine 22-köpfige deutsche Nationalmannschaft gegen sich selbst spielt, und eine ganze Nation drückt sich selbst die Daumen – die einen halt stärker den linken, die anderen den rechten.

Warum war das in Spanien, England und Italien anders? Weil etwa Real Madrid gegen den FC Valencia gespielt hat, mithin Barcelona fehlte, das doch quasi der natürliche Widerpart Reals ist; die Konkurrenz der Finalisten hat also nicht das ganze Land abgedeckt. Ähnliches gilt für Manchester United vs. Chelsea FC: es fehlte Liverpool, der große Konkurrent von Manchester. Vermutlich gäbe es auch hierzulande weniger nationalistisches Geschrei, wenn das Finale zwischen Bayern und Leverkusen ausgetragen würde; der unbeliebte Werksklub bindet schlicht nicht genügend Menschen, um zu einem solchen hegemonialen Block zu gehören. Selbst beim Finale des AC Milan gegen Juventus Turin 2003 fehlte letztlich das Element, das die ganze Nation zusammenschweißt: Großer Nordklub vs. großer Nordklub - das entfaltet genau deswegen keine hegemoniale Kraft, weil der Mezzogiorno nicht vertreten ist.

Bei Bayern-BVB ist das anders: Das ganze Land ist abgedeckt, emotional ergriffen, und der Glaube, der Abend des 25. Mai in London sei eine rein deutsche Veranstaltung, ist so verbreitet, dass die vom Pokalfinale in Berlin bekannte Wendung vom „deutschen Wembley“ plötzlich sehr schrecklich klingt. Wir sind Europa, Football’s coming home, London ist deutsch.

Das verweist darauf, dass der aktuelle Nationalismus auch viel mit deutscher Europapolitik zu tun hat. So wie man hierzulande gerne glaubt, nur die Deutschen könnten einen anständigen Sparhaushalt vorlegen, so glaubt man auch, dass die Bundesligavereine, allen voran die FC Bayern München AG mit derzeit angeschlagenem Aufsichtsratsvorsitzendem und die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA, solide mittelständische Unternehmen seien, die sich von anderen europäischen Clubs, die doch alle von Oligarchen fremdfinanziert seien, deutlich unterschieden.

Fassen wir zusammen: Bayern München ist die Angela Merkel des europäischen Fußballs. Und Borussia Dortmund gibt den zu ähnlichem Durchregieren bereiten Peer Steinbrück, der nur deswegen ein wenig anders daherschwätzen kann, weil er in der Meisterschaft 20 Punkte zurückliegt.