SCHNEE-KANONE
: Nicht ganz auf der Höh

BIATHLON Kein Schnee? In Oberhof simuliert man trotzdem den Winter

Schnee aus Gelsenkirchen zum Schnäppchenpreis von 12.000 Euro

Langsam wird’s peinlich. In den vergangenen Tagen war oft vom „St. Moritz des Ostens“ zu lesen, wenn Oberhof gemeint war. Oberhof hat mit dem schweizerischen Kurort aber so viel zu tun wie Hellersdorf mit Blankenese. St. Moritz ist zwar auch weit davon entfernt, „mondän“ zu sein, aber im Engadin liegt wenigstens Schnee: 80 cm im Tal und 130 aufm Berg. In Oberhof liegt eigentlich gar nichts, außer der Hund begraben.

Nur wenn Weltcup ist, dann kommen Heerscharen von feierwütigen Frührentnern an den Oberhofer Grenzadler, trinken Unmengen Glühwein und essen Bratwürste. Anschließend wird gejohlt, gesungen und geschunkelt. Es geht zu wie beim Musikantenstadl, nur dass man in Oberhof seinen Anorak anlassen darf, wenn der alte Holzmichl, die schnelle Uschi und der ballernde Joschi zusammenfinden. Dieses Spektakel zu Ehren der Biathleten oder Skilangläufer wird sogar ausgerichtet, wenn gar kein Schnee liegt, nicht eine Krume. Zu warm ist es derzeit in der Thüringer Höh.

Es gilt als lokalpatriotische Großtat, den meteorologischen Misslichkeiten zum Trotz eine Loipe in die braune Landschaft zu zaubern. Jeder Thüringer mit einem grünen Herzen in der Brust holt einen Schneeball aus dem Tiefkühler und bringt ihn nach Oberhof. Sogar 15 Lkw-Ladungen Schnee wurden aus der Arena in Gelsenkirchen herangekarrt. Das kostet nur 12.000 Euro, ein lächerlicher Betrag, wenn man bedenkt, wie werbewirksam diese Bilder sind: Topathleten staksen auf der mehlig-nassen Loipe herum, die wie ein Möbiusband des untergehenden Wintertourismus verloren in der Landschaft liegt.

Abgesagt wird hier nichts. Das liegt zwar nahe, und früher wich man auch schon mal ins italienische Ridnaun aus, doch jetzt wird allen weisgemacht, dass die „Region“ diese Events braucht. Die VIP-Zelte wollen gefüllt, die Fernsehminuten versendet werden. Und die Funktionäre wollen überzeugt werden, dass Oberhof auch im Sommer 2020 eine Biathlon-WM veranstalten könnte. Es ist halt alles nur eine Frage des Willens. Im St. Moritz des Ostens logiert vielleicht nicht der Jetset, aber hier kann man Wetter machen. Das ist magisch, fantastisch, großartig.

Wir bemühen diese Attribute auch deswegen, weil die Oberhofer Veranstalter auf eine gewogene Presse Wert legen. Im vergangenen Jahr sagte der Pressechef einem Journalisten, er solle sich bewähren und etwas Positives schreiben, dann würden auch wieder alle Infos an ihn weitergeleitet. Positiv ist natürlich, dass sich 400 freiwillige Helfer zum Dienst an der Schippe gemeldet haben und unentgeltlich Schneekristalle zusammenklauben. Sie tun das für das Wohl und Wehe des Freistaates, der bei den Olympischen Winterspielen wieder seinen ganz eigenen Medaillenspiegel in der Thüringer Allgemeinen abdruckt. Hier kommen nur Athleten aus Friedrichroda, Zella-Mehlis oder eben Oberhof vor, Zöllner und Sportsoldaten, die nun im Schneematsch versinken. MARKUS VÖLKER