Der Komponist Puccini als Frauenverschleißer: Noch einmal großes Künstlerdrama, bitte

Für seinen dokumentarischen Roman "Die kleinen Gärten des Maestro Puccini" holt Helmut Krausser die ganz dicke Keule heraus. Die Musik geht dabei allerdings etwas unter.

Warum eigentlich ausgerechnet Puccini? Dass er diese Frage nie wirklich zu beantworten weiß, dürfte der Grund sein, warum Helmut Kraussers neuer Roman, "Die kleinen Gärten des Maestro Puccini", einen am Ende dann doch etwas unzufrieden zurücklässt. An der Geschichte liegt es nicht, die lässt einen nicht mehr los, wenn man sich erst einmal hat packen lassen. Gut recherchiert scheint er auch zu sein, wir haben es mit einem Dokuroman zu tun. Krausser hat sich von dem Puccini-Biografen Dieter Schickling beraten lassen. Doch das Problem bleibt: Krausser kann sich zur Musik in kein Verhältnis setzen. Das ist nicht gut, wenn man über einen Komponisten schreibt.

Es gibt eine ganze Reihe von Schriftstellern, die in den vergangenen Jahren Musik ins Zentrum ihrer Romane gestellt haben. Richard Powers in "Der Klang der Zeit" etwa, Jonathan Lethem in "Die Festung der Einsamkeit" oder Michael Köhlmeier in "Abendland". Bei allen hatte Musik eine ähnliche Funktion: Kommunikationen herzustellen, Durchlässigkeiten zu ermöglichen, Soziales zu spiegeln. Powers interessierte das familiäre Musizieren als Bollwerk gegen eine feindliche Welt, Lethem beschreibt das weiße Fasziniertsein von schwarzer Musik als Nachbarschaftsdrama, Köhlmeier erzählt vom Jazz als Verbindung von Alter und Neuer Welt. Krausser möchte noch mal vom Genie erzählen, dafür ist Musik sein Transportmittel und Puccini sein Held. Ein Künstlerfürst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, jenem kleinen Zeitfenster, als die Oper alles sein konnte: massenwirksam und elitär. Um den talentierten Mann geht es Krausser, seinen Frauenverbrauch und seine Sublimierungsleistung.

Drei Teile haben "Die kleinen Gärten des Maestro Puccini", jeder ist einer Geliebten des Komponisten gewidmet. Die Teile sind miteinander verwoben - Doria, das Dienstmädchen, die dem dritten Teil ihren Namen gegeben hat, wird im ersten Teil eingestellt, Sybil, eine Bankiersgattin, steht im Zentrum des zweiten Teils, verschwindet mit dem dritten aber nicht. Cori klammert das Buch zusammen: mit ihrem Tod 1962 fängt der Roman an.

Drei Frauengeschichten, dreimal Drama, dreimal wird eine Oper daraus hervorgehen - wenn man genau ist, zweimal großes Drama und große Oper, einmal kleines Drama und kleine Oper. Krausser skizziert drei mögliche Sublimationsmodelle: Mit der realen Affäre beginnt das Buch, es geht um die geheimnisvolle Cori, die Puccini zu "Madame Butterfly" inspiriert und die er beinahe heiratet. Es wird nur deshalb nichts daraus, weil seine Lebensgefährtin Elvira ihn stattdessen in die Ehe intrigiert. Zweites Modell: Die Beziehung zu der Londonerin Sybil. Die Affäre, aus der nichts wird. Nach einer gemeinsamen Nacht entzieht sie sich ihm, stattdessen entwickelt sich eine Freundschaft. Entsprechend schwach ist dann auch die Oper, die Krausser ihr zurechnet, "Fanciulla del West - Das Mädchen aus dem goldenen Westen". Drittens schließlich die Affäre, die gar keine ist: Doria, das Hausmädchen der Puccinis, wird von Elvira, Giaccomos zu diesem Zeitpunkt pathologisch eifersüchtiger Ehefrau, in den Selbstmord getrieben. Tatsächlich ist Doria unschuldig. Vieles davon wird in "Turandot" eingehen.

Einmal, als sich im Durcheinander von Puccinis Leben ein entspanntes Zwischenplateau ankündigt - seine Frau hat sich mit einer seiner Freundinnen angefreundet -, schreibt Krausser, Puccini sei zufrieden gewesen, nur "der Lösung des großen Rätsels Frau, das er sein ganzes Leben zu ergründen versucht, kommt er nicht näher". Das ist das heimliche Zentrum des Buchs, darum geht es Krausser. Und zwar nicht in der normal-menschlichen Form, die jeden heterosexuellen Mann umtreibt. Nein, es geht um die unnormal-übermenschliche Form, das Künstlerdrama, den Zusammenhang von Libido und Kreativität.

Nun ließe sich einiges gegen diese Konstellation einwenden - für einen guten Roman taugt sie allemal. Auch gut hundert Jahre nachdem sie ihren Höhepunkt überschritten hat. Dass Krausser seinem Puccini beim Schreiben seiner Musik nicht recht über den Weg traut und den Künstlerkollegen über die zahllosen Briefe, die er zitiert, im Grunde zum Schriftsteller macht, wiegt viel schwerer.

Helmut Krausser: "Die kleinen Gärten des Maestro Puccini". DuMont Verlag, Köln 2008, 380 Seiten, 19,90 Euro

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